"Manchmal stehen wir vor einem Dilemma", sagt Elisabeth R. und stützt die Ellenbogen auf den großen grauen Tisch. Etwa zweimal in der Woche sitzt sie hier mit Familien zur Verhandlung. Hell, aufgeräumt, mit vielen Regalgeraden. Ihr Büro ist nicht nur Schreibplatz, sondern vielmehr Streitplatz - ihr ganz persönlicher Gerichtssaal. Probleme werden ausdiskutiert, manchmal auch ausgebrüllt. "Oft sehr emotional, sehr turbulent." Gerade wenn es um Kinder geht, um ihr Wohl oder um das Sorgerecht, dann stünden die Eltern stark unter dem Druck des Verfahrens, sagt die Familienrichterin. "Sie empfinden die Termine oft als Einmischung, auch als Diskriminierung." Die 45-Jährige ist die zentrale Instanz in den familiengerichtlichen Verfahren der "Kindeswohlgefährdung", wie es im Amtsdeutsch heißt. Ein Begriff, hinter dem sich vieles verbergen kann: Ein Kind, das nicht zum Arzt gebracht wird; ein Kind, das geschlagen wird; ein Kind, das verhungert.

Elisabeth R. hat eine gewaltige Verantwortung. Die Richterin kann Familien zusammen-, aber auch auseinanderbringen. Spätestens 24 Stunden nach der Meldung einer akuten Kindeswohlgefährdung muss sie eine Entscheidung treffen: Ob das Kind in eine Pflegefamilie kommt, seinen Eltern das Sorgerecht entzogen wird. Oder ob es trotz aller Probleme sinnvoller ist, das Kind in der Familie zu belassen. "Ein Schicksal mitzubestimmen", sagt sie nachdenklich, "ist in jeder Hinsicht schwierig. Die meisten Kinder wollen bei ihren Eltern bleiben."

Die 45 Jahre alte Eppendorferin ist Mutter von drei Kindern. Ein Fall wie der von Lara geht ihr natürlich nahe. "Das hat uns alle betroffen gemacht. Und natürlich überlegt man nach so einem tragischen Fall wie Lara, was schiefgelaufen ist." Eine Beurteilung aus der Ferne will sie nicht vornehmen.

Haben die Fälle von Kindeswohlgefährdung zugenommen? Elisabeth R. hält für einen Augenblick inne, überlegt. "Nein, es sind Wellenbewegungen. Mal mehr, mal weniger." Allerdings seien die Fälle psychisch kranker Eltern häufiger geworden - Schizophrenie, Depressionen, Alkoholmissbrauch.

"Bei der Bewertung sind wir auf das Jugendamt angewiesen. Die Zusammenarbeit ist sehr eng." Sie kenne die Situation aus den Akten, den Verhandlungen und den Anhörungen. Das Jugendamt jedoch kennt die Situation vor Ort. "Solange die Eltern mit dem Amt zusammenarbeiten und das Kindeswohl nicht gefährdet ist, greifen wir in der Regel nicht ein."

In ihrer knapp siebenjährigen Tätigkeit als Familienrichterin habe es nur wenige Fälle gegeben, in denen sie gegen die Auffassung des Jugendamts entschieden habe. "Wir sind bemüht, eine gemeinsame Lösung zum Wohle der Kinder zu finden." Und so treffe es sie und ihre Kollegen hart, wenn bei Jugendämtern und freien Trägern gekürzt werde. "Das Jugendamt hat die schwierigste Stellung in dem Gefüge."

Im Fall des Falls kommt das Kind in Obhut des Amts. Gleichzeitig geht ein Prüfantrag an den Familienrichter, der das Gefährdungspotenzial einschätzen muss. Und darüber entscheidet, ob den Eltern das Sorgerecht entzogen wird. Keine Angst vor einer falschen Entscheidung? "Falsch ist nicht der richtige Begriff. Wir sind nie davor gefeit, Entscheidungen auf einer Grundlage zu treffen, die sich nachträglich anders darstellt." Dennoch: "Bei einer drohenden Kindeswohlgefährdung fällt die Entscheidung zunächst nur vorläufig. Im Hauptsacheverfahren wird der Sachverhalt dann umfassend aufgeklärt. Eine Korrektur der vorläufigen Entscheidung ist jederzeit möglich."

Das Gefühl, "alles ist verloren", überkomme sie selten: "Sonst könnte ich diesen Job nicht machen." Auch Kinder mit traumatischen Erlebnissen haben eine Chance auf ein Leben ohne nachhaltige Folgen.

Und was fehlt ihr? "Zeit", sagt sie. Vor allem für die schwierigen Fälle. Und: Gutachten dauern zu lange. "Die qualifizierten Gutachter haben viel zu tun." Zu viel, klingt durch. "Vier bis sechs Monate kann es schon dauern", sagt Elisabeth R. Zeit, in der der Fall "in der Schublade ruht". Was sie persönlich berührt: "Wir können oft nur auf bereits Geschehenes reagieren", was ja in der Natur der Justiz liege. "Wir arbeiten höchstens noch begleitend. Dabei müsste man viel früher ansetzen." Was aber immer schwieriger werde: "Ein für die Entwicklung ausreichendes Umfeld haben viele Kinder nicht mehr."