Wundertüte. Das ist das Wort, das Ditte Nowak einfällt, wenn sie nach ihrer Arbeit gefragt wird. Nowak ist diplomierte Sozialpädagogin und Psychotherapeutin, und sie arbeitet in der Familienhilfe. "Wir sind immer wieder täglich aufs Neue vor andere Aufgaben gestellt. Es gibt keinen Standardweg." Jede Familie sei anders. "Wir versuchen, mit den Familien gemeinsam nach neuen Wegen zu suchen, zu helfen, aus Widersprüchen und Sorgen des Alltags auszusteigen und Lösungen zu finden." Ein Versuch, der nicht immer gelingen kann.

Ditte Nowak ist 51 Jahre alt und Teamleiterin beim Trägerverein "stadtteilbezogene milieunahe Erziehungshilfen", kurz "sme". Der Name ist in der Öffentlichkeit fast unbekannt, doch sme - vor allem auf St. Pauli aktiv - gehört zu den angesehensten Anbietern der Familien- und Jugendhilfe. Weil Nowak dieser Arbeit seit Jahren nachgeht, kennt sie sehr viele Beispiele menschlich-familiärer Not.

Rüdiger Kuehn (52), pädagogischer Leiter des sme, formuliert einen der Eckpunkte des Trägervereins so: "Aus unserer Sicht ist es von elementarer Wichtigkeit, das komplette Umfeld mit einzubeziehen." Deshalb betreuen seine Mitarbeiter nicht zehn oder 20 Familien, sondern maximal fünf. Mehr, das ginge nicht - jedenfalls nicht gut. Ohne weitere Unterstützung könne man ohnehin nur wenig erreichen. Schulen, Kitas, Nachbarn, Hebammen: Sie alle und manchmal noch andere mehr seien nötig, um familiäre Notlagen nachhaltig aufzufangen. Kuehn: "Ich sehe die Aufgabe der Familienhilfe auch darin, Verantwortung zu bündeln und gegebenenfalls neu und sinnvoll zu verteilen." Was, wie der Pädagoge betont, nur gehe, wenn man im Stadtteil, auf seinem Kiez, optimal vernetzt sei. Konkret heißt das: Wenn Kuehns sme einen Auftrag vom Jugendamt bekommt, dann geschieht mehr, als dass die hilfebedürftigen Eltern einmal in der Woche besucht würden.

"Wenn wir den Auftrag erhalten, uns mit fünf Stunden pro Woche eines Kindes anzunehmen, das bei einer alleinerziehenden Mutter lebt", sagt Rüdiger Kuehn, "dann ist es nur selten mit diesen fünf Stunden getan." Zu Beginn schon gar nicht: "Wir prüfen zunächst genau den Betreuungsbedarf. So kann es im Einzelfall auch sinnvoll sein, sich verstärkt um die Mutter zu kümmern und hier zusätzliche Betreuungsstunden einzusetzen."

Denn wenn die Mutter ihren Weg findet, ein selbstständiges Leben zu führen, so beschreibt Kuehn seine Grundsätze, dann sei dem Kind am besten geholfen. "Natürlich ist das hier kein Wünsch-dir-was!", sagt Ditte Nowak - und skizziert damit die Schwierigkeiten, denen freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe ausgesetzt sind. Natürlich gibt es in kaum einem Einzelfall so viel Geld vom Amt, wie es sich Betroffene und Betreuer wünschten. "Doch wenn der Hilfeplan gut begründet ist, dann werden uns auch Mittel bereitgestellt", sagt Kuehn. Bisher jedenfalls.

Menschen in ihren jeweiligen Lebenssituationen zu akzeptieren und Hilfe ohne Schuldzuweisung zu geben, das sei die zentrale Aufgabe "milieunaher Erziehungshilfen", wie der Fachbegriff heißt. Die Angst der Eltern, ihre Kinder weggeben zu müssen, läst sich dabei nicht immer vollkommen nehmen. Kuehn: "Veränderungen sind oft ohne Zumutungen nicht erreichbar." Die Schritte werden in Hilfeplänen festgelegt. Gemeinsam. Aber: "Wenn Mütter dazu nicht bereit sind, sich nicht melden oder abtauchen, ohne Telefonnummern zu hinterlassen, dann zögern wir auch nicht lange, den Kinder- und Jugendnotdienst einzuschalten." Familienhilfe, sagt er, ist wie ein Spagat zwischen Hilfe und Kontrolle. Im Gegenzug ist die Einrichtung rund um die Uhr - Tag und Nacht - für die Betreuten erreichbar. "Das gibt beiden Seiten ein besseres Gefühl", sagt Ditte Nowak. "Keiner hier beharrt darauf, Feierabend zu haben. Die Probleme haben es ja auch nicht."

Bei drastischen Entwicklungen, wenn zum Beispiel Kinder mit Verletzungen oder blauen Flecken, Mangelerscheinungen oder Hunger auffallen, wenden die Betreuer des sme das "Vier-Augen-Prinzip" an. Immer. So sollen Routinefallen umschifft, Verantwortlichkeiten verteilt, Fehleinschätzungen verhindert werden. Und doch: "100-prozentige Sicherheit kann es nicht geben", sagt Rüdiger Kuehn. "Niemand kann ausschließen, dass es in dieser Stadt auch weiterhin zu Kindeswohlgefährdungen kommt." Es bleiben auch bei vorbildlichster Betreuung zwei zentrale Probleme: die Perspektivlosigkeit vieler Eltern. Und die soziale Lage zu vieler Kinder. Rund 53 000 Hamburger Kinder - jedes fünfte Kind - leben in Hartz-IV-Haushalten. "Das Bild der klassischen Rabenmutter", sagt Ditte Nowak, "das gibt es ja nicht." Und: "Wir sollten mehr Prävention wagen."