Ein Bagger hob einen Blindgänger mit gefährlichem Säurezünder aus dem Schlick. 2000 Menschen wurden in Sicherheit gebracht.

Hamburg. Vergnügt sitzt Jürgen Wagenführer (75) im Bistro von Hummer Pedersen an der Großen Elbstraße. Er trägt ein feines Hemd mit Manschettenköpfen, um den Hals hat er sich eine goldfarbene Fliege gebunden. Wagenführer hat sein Handy nicht dabei, deshalb reicht der Bruder ihm seines. "Hans", ruft er scherzend in das Telefon, "hier ist alles bombensicher." Hans ist einer von 60 Gästen, die Jürgen Wagenführer und seine Frau Usch (75) zur goldenen Hochzeit ins Fischereihafen- Restaurant eingeladen haben. Doch so weit sind sie nicht gekommen. Wegen Bombenalarms darf sich im Radius von 300 Metern niemand dem ehemaligen England-Fähranleger nähern.

Der Grund: Ein Schwimmbagger hat gerade eine 125 Kilo schwere Fliegerbombe der englischen Luftwaffe aus dem Elbschlick vor dem Anleger Dockland an der Van-der-Smissen-Straße (Altona) gehoben. Sie ist mit einem sogenannten Säurezünder versehen. Es besteht die Gefahr, dass dieser durch die Bewegung nach mehr als 60 Jahren wieder aktiviert wurde. Dann würde sich die Säure durch ein Pergamentblättchen fressen, das einen gespannten Schlagbolzen hält. "Die Bombe würde explodieren", sagt Sprengmeister Hermann Borelli (54).

Fast 100 Beamte von Feuerwehr und Polizei evakuieren alle Büros, Geschäfte und Restaurants. Insgesamt 2000 Menschen müssen die umliegenden Gebäude verlassen. Der Verkehr an der Großen Elbstraße wird im Westen bereits ab Klopstockstraße und St.-Pauli-Fischmarkt im Osten komplett gesperrt. Etliche Kurierfahrer, Baustellenfahrer und Geschäftskunden wird die Zufahrt aus Sicherheitsgründen verweigert.

Unter ihnen ist auch das goldene Hochzeitspaar Jürgen und Usch Wagenführer. Um 12 Uhr wollten sie ihre Gesellschaft eigentlich im Fischereihafen-Restaurant empfangen. Mit Mühe gelingt es den beiden, das Taxi über einen Schleichweg immerhin bis zu Hummer Pedersen zu schleusen. "Ich kenn mich in Hamburg aus", sagt der Architekt aus Marienthal. Langsam trudelt auch ein Teil seiner Gäste ein. In einem Bistro wird Kaffee und Wasser gereicht.

Stefan Huß, Oberkellner aus dem Fischereihafen-Restaurant, ist ebenfalls mit einer Handvoll Kollegen gekommen. "Wir mussten alle Geräte ausmachen, können das Essen nicht vorbereiten."

Unterdessen wird auch die Elbe zwischen England-Fähranleger und Tollerort gesperrt. Von 11 bis 13 Uhr ist der gesamte Schiffsverkehr unterbrochen, die Hadag-Fähren kommen nicht mehr nach Finkenwerder und Neuhof oder zurück. Seeschiffe, die den Hafen einlaufen oder in Richtung Unterelbe hinauswollen, müssen am Anleger warten oder ihre Fahrt verlangsamen. Sie werden über den Seefunk der Hamburg Port Authority benachrichtigt. Die sogenannten Verholer, die normalerweise zwischen den Terminals hin- und herfahren, bleiben an den Kais.

Drei Boote der Wasserschutzpolizei warnen Segel- und Sportboote mit einem gehissten Warnsignal und Blaulicht. Laut Hadag sind sechs Fähren und eine Hafenrundfahrt betroffen. Während die Hafenrundfahrt auf eine andere Route ausweicht, können die Fähren nur bis zum Anleger Neumühlen fahren. "Wir haben gerade Hochsaison, da sind die Schiffe normalerweise mit bis zu 250 Fahrgästen besetzt", erklärt Betriebsleiter Manfred Tiews (54). Wie viele Seeschiffe durch die Entschärfung verspätet einlaufen oder nicht auslaufen können, ist nicht bekannt.

Gegen 13 Uhr gelingt es Sprengmeister Borelli und seinen drei Kollegen der Feuerwehr, den Säurezünder zu entschärfen. Sofort öffnen die Beamten die Absperrungen, der Betrieb in den Geschäften und Büros geht endlich weiter. Auch im Fischereihafen-Restaurant. Nur eine Stunde später bewirtet dessen Chef Dirk Kowalke schon 150 Gäste. In der Küche ist Hochbetrieb. Auch die Wagenführers sind dabei. Die Verzögerung ausgerechnet an diesem Tag - für das Paar überhaupt kein Problem: "Wir haben schon die Bomben im Zweiten Weltkrieg überstanden, dann werden wir die jetzt auch noch überstehen."