Er war Kaufmann, Lebemann und ein begeisterter Springreiter. Das berühmteste Hindernis im Derbypark Klein Flottbek trägt seinen Namen: Pulvermanns Grab. Doch über Eduard F. Pulvermann selbst war bisher nur wenig bekannt. Ein Berliner Arzt machte sich auf Spurensuche.

Hamburg. Es sind nur 15 Meter, aber die haben es in sich: ein Steilsprung, ein kurzes Gefälle, dann der zwei Meter breite Wassergraben, dahinter eine kurze Steigung - und schließlich wieder ein Steilsprung. Es ist wohl das tückischste Hindernis, das ein Springreiter in seiner Karriere zu bewältigen hat. Und weil selbst die Besten ihrer Zunft so häufig daran scheitern, klingt der Name wie ein Programm: Pulvermanns Grab.

Es ist das 14. Hindernis beim Derby, ein Hindernis, das von Reitern aus aller Welt so gefürchtet wie es vom Publikum in Klein Flottbek geschätzt wird, weil es höchste Spannung garantiert. Und wer dieses Hindernis nicht schafft, hat - auch an diesem Sonntag - kaum Chancen, als Sieger des Deutschen Springderbys aus der Arena zu galoppieren.

Pulvermanns Grab ist Legende. Aber wer eigentlich ist Pulvermann?

Ein wohlhabender Hamburger Kaufmann und passionierter Reiter, der am 2. September 1882 An der Fährstraße auf der Uhlenhorst in gutbürgerlichem Umfeld geboren wurde und 1920 das Derby begründete. Er starb am 9. April 1944 nach dreijähriger Haftzeit in Fuhlsbüttel und im Konzentrationslager Neuengamme schließlich im Lazarett Langenhorn - viel mehr war bislang über ihn nicht bekannt. Doch nun hat, in jahrelanger Recherche, der Hamburger Arzt Dr. Joachim Winkelmann die Geheimnisse um Pulvermanns Leben und Schicksal gelüftet und in einem Buch aufgeschrieben.

Pulvermanns Vater Albert, US-amerikanischer Staatsbürger mit preußischen Wurzeln, war Mitinhaber des international tätigen Handelshauses Markt & Co. in New York. Nach dem Abschluss auf der Handelsschule des Johanneums absolvierte der 1883 in der Kirche St. Georg evangelisch-lutherisch getaufte und christlich erzogene Eduard Franz Pulvermann seine Lehre bei Markt & Co. in Hamburg, London, Paris und New York.

Später wurde er Prokurist, dann Präsident des Unternehmens, zudem Aufsichtsrat des teilweise im Familienbesitz befindlichen Betriebs Pike, Escher & Co. Mit seinem Bruder besaß er außerdem die ertragreichen Hero Armaturenwerke in Bad Oldesloe.

Eduard Pulvermann wurde auf eigenen Wunsch 1903 in den Hamburgischen Staatsverbund aufgenommen, tauschte also die amerikanische gegen die deutsche Staatsbürgerschaft. Seinen Militärdienst leistete der begeisterte Reiter bei den 16er-Husaren in Schleswig ab. Pulvermann war Logenmitglied und engagierte sich im Vorstand des konservativen National Clubs von 1919. Er war zudem aktiver Sportler im Germania Ruder Club und im Norddeutschen Regattaverein - vis-à-vis des Pulvermannschen Hauses an der Schönen Aussicht 33.

Von den Gewinnen seiner Firmen erwarb Pulvermann 1921 das Gut Westensee im Kreis Rendsburg. Dort züchtete er Rinder und Schweine und gründete ein Pferdegestüt. "Opa Pu" wird als liebevoller Familienmensch beschrieben. Nach dem Tod seiner ersten Frau Ruth, geborene von Cramm, eine entfernte Verwandte des "Tennis-Barons" Gottfried von Cramm, heiratete Eduard F. Pulvermann 1928 die Freiin Sibylla von Alten. Die gemeinsamen Töchter Jutta Droege (78) und Armgard Pulvermann (76) leben heute in Hamburg. Wie immer werden beide auch an diesem Sonntag beim Deutschen Springderby auf der Tribüne sitzen.

Eduard F. Pulvermann führte ein bohemes Leben in Wohlstand, galt als geselliger Mensch mit Hang zur britischen Lebensart. Bis die Geheime Staatspolizei (Gestapo) der Nationalsozialisten ihn ins Visier nahm. Die Vorwürfe damals: ein angebliches Devisenvergehen sowie "Heimtücke".

Das belegen Prozessunterlagen des Deutschen Reiches, die bis zur deutschen Wiedervereinigung als verschollen galten und erst im Jahr 2006 von Joachim Winkelmann im Bundesarchiv Berlin entdeckt wurden. Detailliert ist die perfide Taktik der nationalsozialistischen Justiz nachzulesen, einem frei denkenden Hanseaten, der sich von der NSDAP nicht vereinnahmen lassen wollte, den Garaus zu machen. So sollte der Anklagepunkt "Heimtücke" mit einem Brief Pulvermanns an seinen Vetter in New York bewiesen werden. Darin stand: "Das Essen bei uns ist fürchterlich." Diese Äußerung genügte 1941 den Nazis, um Pulvermann zu verfolgen.

Dass die Abteilung "Judenreferat" bei der Hatz federführend war, dokumentiert den wahren Grund des Verfahrens. Auch wenn der Beschuldigte getauft und 1898 in St. Gertruden konfirmiert wurde, stuften ihn die Nazis als "Mischling ersten Grades" ein. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Polen hatten Suchtrupps der Reichsstelle für Sippenforschung in Posen Hinweise auf seine jüdischen Großeltern gefunden.

"Daraufhin wurden Pulvermanns Geschäfte systematisch behindert", weiß Biograf Winkelmann. Dann kam der Unternehmer ins Konzentrationslager Neuengamme. Nach drei Jahren war er derart unterernährt und zudem an akuter Lungenentzündung erkrankt, dass man ihn ins Lazarett nach Hamburg-Langenhorn verlegt, wo er am8. April 1944 starb. Vor Pulvermanns letztem Wohnsitz an der Geffckenstraße 15 mahnt seit 2005 ein "Stolperstein".

Nicht weit entfernt wohnen heute die Töchter Pulvermanns, Jutta und Armgard. Die beiden betagten, aber unvermindert agilen Damen haben bis vor wenigen Jahren beim Springderby in Klein Flottbek auch regelmäßig einen Ehrenpreis übergeben. Diese beiden Zeitzeugen versorgten Winkelmann mit Briefen, Notizen, Zitaten und Fotos aus dem Vermächtnis ihres Vaters. Pulvermanns Sohn Curt und Tochter Franziska aus seiner ersten Ehe sind gestorben. Aus den Erinnerungsstücken geht auch hervor, dass Pulvermanns Faible für Pferde früh geweckt worden war. In Schreiben an seine Eltern hatte Pulvermann schon während seiner Lehrjahre den Reiz der Reitwege Rotten Row in London und im Bois de Boulogne von Paris zu lebhaft geschildert. Eduard wurde von seinem alten Herrn per Depesche nach Hause zitiert und ermahnt. Er solle lieber arbeiten ... In weiser Voraussicht hatte der Junior aber ein Attest eines französischen Arztes parat, der ihm das Reiten "zur Kräftigung seines schwachen Herzens" verordnete. Der Vater traute dem Papier nicht und schaltete den am Hofweg praktizierenden Dr. Carl Manchot ein. Doch der erkannte den Familienkonflikt - und bestätigte die medizinische Notwendigkeit der Reitstunden.

Doch die waren Pulvermann irgendwann nicht mehr genug. In Dockenhuden an der Elbchaussee erwarb er 1913 ein großes Grundstück und veranstaltete dort 1914 ein privates Reitturnier. "Der Vorläufer des Deutschen Springderbys", sagte er später. Der Erste Weltkrieg warf alles über den Haufen; erst 1920 wurde das Deutsche Springderby erstmals ausgetragen. Im Sattel seines irischen Pferdes Tristan belegte Pulvermann Platz sechs. Das Gerippe des Schimmels, der 40 Jahre alt wurde, erhielt einen Ehrenplatz auf Gut Westensee.

Seit 1924 sorgt Pulvermanns Grab für Hochspannung beim Derby. Auch mit Coraggio, Heiliger Speer, Kampfgesell und Weißer Hirsch nahm Pulvermann an zahlreichen Prüfungen teil - auf 16 deutschen und zehn europäischen Turnierplätzen. Ein Ölgemälde des Hamburger Malers Hermann Junker, das Pulvermann auf Weißer Hirsch vor der Silhouette Westensees zeigt, wird im Büro des Norddeutschen und Flottbeker Reitervereins aufbewahrt. Auch dieses Bild war der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt. Das Hamburg-Museum am Holstenwall hat Interesse, es auszustellen und somit für jedermann zugänglich zu machen. Schon damals wurde es von Pulvermanns Reiterfreunden bewundert. Zu ihnen gehörten Prinz Sigismund von Preußen, Prinzessin Armgard zur Lippe-Biesterfeld sowie der Freiherr von Buddenbrock-Pläswitz.

Letzterer war dabei, als Eduard F. Pulvermann 1919 vor einem Reitturnier in Travemünde ein ganz besonderes Hindernis anlegte. Beim Testritt scheute Putilowa und katapultierte Pulvermann in den Graben. "Pulvermanns Grab", frotzelte von Buddenbrock-Pläswitz.

Name wie Nimbus haben überlebt.