Ein Mitarbeiter der Uniklinik in Eppendorf klagt an: “Viele von uns sind schon freiwillig gegangen, weil der Stress einfach zu groß geworden ist.“

"Was Sie über die Probleme im UKE geschrieben haben, ist nur die Spitze des Eisbergs. Keiner macht den Mund auf, es wird immer alles einfach hingenommen. Und deshalb ist es gut, dass die Missstände jetzt endlich mal an die Öffentlichkeit kommen, damit sich vielleicht doch noch etwas ändert." Mit diesen Worten meldete sich gestern ein Mitarbeiter der OP-Pflege im UKE in der Redaktion - das Abendblatt nennt seinen Namen nicht zu seinem eigenen Schutz vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Sein schonungsloser Bericht über den Alltag im OP-Saal deckt sich inhaltlich mit dem Brandbrief der Ärztlichen Leiter aus 15 medizinischen Zentren an den Vorstand.

Die Veröffentlichung im Abendblatt hat eine Affäre ins Rollen gebracht, die nun immer weitere Kreise zieht. Nachdem sich Wissenschaftssenatorin Herlind Gundelach (CDU) eingeschaltet und den Ärztlichen Direktor Professor Jörg F. Debatin aufgefordert hat, "die aufgetauchten Schwachstellen schnellstmöglich zu beseitigen", wird sich auf Antrag der SPD der Wissenschaftsausschuss der Bürgerschaft in seiner nächsten Sitzung am 14. Mai mit der Situation am UKE befassen: nicht vorhandenes OP-Besteck, Verzögerungen des Schnittbeginns, ein quasi anarchisches Bettenmanagement, ein schwerfälliges Computersystem und eklatanter Personalmangel im Pflegebereich - das waren die aufgelisteten Mängel in dem Schreiben der Ärzte, die einen Tag später dann plötzlich von einer "geregelten Patientenversorgung" sprachen. Und auch Debatin wollte die Probleme zwar nicht "bagatellisieren". Aber er begründete sie mit dem unerwarteten Wachstum der Klinik: "Wir sind Opfer unseres Erfolgs", sagte Debatin.

"Dass die Chefärzte so heftig zurückgerudert sind, kann ich gut verstehen, denn sie stehen unter enormem Druck", meint jetzt der OP-Pfleger, der seit mehr als zehn Jahren in der Uni-Klinik tätig ist und einfach kein Verständnis mehr dafür aufbringt, dass die ständigen Warnungen des Pflegepersonals immer ignoriert und einfach "weggelächelt" worden sind. Sein Bericht im Wortlaut: "Wir haben seit Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass wir im OP-Pflegebereich unterbesetzt sind. Wenn der Ärztliche Direktor Professor Debatin jetzt von einem vorübergehenden Engpass durch unerwartetes Wachstum spricht, stimmt das einfach nicht, denn wir waren immer schon viel zu knapp besetzt. Durch die Zusammenlegung der vormals dezentralen Operationssäle hat sich die Situation jetzt dramatisch verschärft. Es hat unter anderem dazu geführt, dass das Pflegepersonal jetzt in Fachbereichen arbeiten muss, von denen es keine oder nur wenig Ahnung hat. Sie müssen sich das so vorstellen, als wenn ein HNO-Chirurg plötzlich eine Bauch-OP machen sollte. Das würde auch nicht funktionieren. Und der Arzt würde sich weigern. Ich lehne es auch manchmal ab, fachübergreifend zu arbeiten, und sage, dass ich dafür die Verantwortung nicht übernehmen kann. Aber natürlich wird uns so immer ein schlechtes Gewissen eingeredet. Und jüngere Pflegekräfte trauen sich meist nicht, Nein zu sagen. Also rotieren plötzlich alle in den verschiedenen OP-Bereichen, egal ob Gynäkologie, Neurologie, HNO, Orthopädie, Unfall-, Bauch- oder Kieferchirurgie - obwohl ihnen dafür eigentlich die Qualifikation fehlt. Aber anders ginge es gar nicht, weil die Wechselzeiten immer kürzer werden - also die Zeit zwischen Nahtende beim letzten Patienten und dem Schnittbeginn beim nächsten. In dieser Zeit müssen wir - bei normalen Operationen sind wir mindestens zu zweit, bei großen sollten wir eigentlich zu dritt oder zu viert sein, aber das ist Luxus - das OP-Besteck abräumen und zusehen, dass für die nächste OP alles vorbereitet ist. Oft leitet der Anästhesist schon die neue OP ein; das geht quasi zu wie am Fließband, damit der Saal bloß nie leer steht. Und man denkt oft, da kommen wir nicht mehr hinterher.

Da muss jeder Handgriff sitzen, aber durch die Zentralisierung wurden eingespielte Teams auseinandergerissen. Viele von uns sind aber auch freiwillig gegangen, weil sie die Verantwortung nicht mehr tragen wollten und weil der Stress, was sich auch in einem erhöhten Krankenstand niederschlägt, einfach zu groß geworden ist. Wir haben dadurch sehr viel Kompetenz verloren, und dieses Wissen, von dem ja auch junge medizinische Berufsanfänger profitieren, fehlt uns jetzt. Und es dauert lange, neue Kräfte einzuarbeiten. Ich selbst weiß allein von 16 Versetzungsanträgen in den letzten Wochen, manche haben ganz gekündigt.

Und eigentlich haben sie recht. Wir arbeiten laut Tarif 38,5 Stunden in der Woche, und das in drei Schichten. Ich bekomme dafür rund 1900 Euro netto, andere nur 1600 Euro. Die Frühschicht geht von 6.45 Uhr bis 15.15 Uhr, die Zwischenschicht von 10.30 Uhr bis 18 Uhr, die Spätschicht von 12.30 Uhr bis 20.30 Uhr. Danach fängt für einige Fachbereiche der Bereitschaftsdienst an, für andere die Rufdienste. Am Wochenende, wenn wir Rufbereitschaft haben, kann es sein, dass wir drei- oder viermal zu Notfällen gerufen werden. Dann müssen wir sofort los, manche von uns haben kein Auto, kommen also mit der Bahn oder nehmen lieber gleich ein Taxi - und müssen das selbst bezahlen. Schon von zu Hause rufen wir in der ,Steri', der Zentralsterilisation, die jetzt im Gegensatz zu früher von einer Fremdfirma betrieben wird, an und lassen die Fallwagen mit den für die OP nötigen Materialien wie Tupfer, Kompressen, Handschuhe, Besteck oder Nahtmaterial zusammenstellen. Das geht nur über Handy, und auch das bezahlen wir selbst.

Bevor diese Aufgaben von einer Fremdfirma übernommen wurden, haben wir das selbst gemacht. Vor dem großen Umzug gab es zwar Probeläufe mit der neuen Firma, aber schon da lief es nicht. In Mitarbeiterbesprechungen haben wir das Thema immer wieder angesprochen und gewarnt, aber das wurde einfach ignoriert. Und als wir am Anfang gesehen haben, dass das nicht klappt, sind immer wieder Leute von uns runter in die ,Steri' geeilt und haben beim Zusammenstellen der Fallwagen geholfen. Haben lange Listen erstellt, auf der für jede OP alle nötigen Materialien nummeriert und mit genauer Stückzahl aufgeführt wurden. Sonst wäre das noch viel chaotischer gelaufen. Wenn die Materialien bei einer OP jetzt nicht ausreichen, muss man umständlich in der "Steri" anrufen und nachbestellen. Das kostet unnötig viel Zeit und war früher viel einfacher, weil wir unsere Materialien im OP-Trakt hatten. Die Ärztlichen Leiter haben also völlig recht, wenn sie in ihrem Brief geschrieben haben, dass es durch erhebliche Mängel in der Schulung des Personals in der Zentralsterilisation, durch falsch gepackte Siebe und Fallwagen immer wieder zu Verzögerungen des Schnittbeginns kommt.

Wenn wir Rufbereitschaft haben und von zwei bis vier Uhr nachts gearbeitet haben, gibt es eigentlich eine vorgeschriebene Ruhezeit von elf Stunden. Die darf nur in absoluten Ausnahmefällen einmal auf 5,5 Stunden reduziert werden. Die Ausnahme ist aber bei uns jetzt zur Regel geworden. Und viele erscheinen dann sogar trotzdem wieder zur Frühschicht, weil sie die anderen nicht im Stich lassen wollen. Nicht auszudenken, wenn wirklich einmal etwas passieren würde. Dann würde jeder Richter sagen, wie kommen Sie eigentlich dazu, die vorgeschriebenen Ruhezeiten nicht einzuhalten?

Zum Glück habe ich es bisher erst einmal erlebt, dass für einen Patienten, der bereits im OP-Saal lag, falsches Besteck vorbereitet worden war. Das konnte dann noch rechtzeitig korrigiert werden. Aber so ist es eben. Es heißt, die Schwestern oder die Pfleger machen das schon, es wird gelächelt und abgewartet.

Die Kosteneinsparung passiert auf dem Rücken der Patienten, der Ärzte und Pfleger. Und natürlich gibt es Ärzte, die frühmorgens operieren und abends immer noch. Wenn sie jetzt in einem gemeinsamen Brief die Sorge geäußert haben, dass die Patientensicherheit am UKE gefährdet ist und dringende Lösungen der aufgezeigten Probleme anmahnen, ist das völlig berechtigt und zeigt, wie dramatisch die Situation mittlerweile ist. Wir sollen für andere Menschen da sein, und wir haben diesen Beruf einmal gelernt, weil wir das gern tun. Aber wenn wir mit der Zeit derartig plattgemacht werden, fehlt irgendwann einfach die Kraft, für andere da zu sein."