Hamburger Abendblatt:

Herr Montgomery, hatten Sie Kenntnis von den gravierenden Problemen im UKE, die von den Ärztlichen Leitern in einem Brief an den Vorstand aufgelistet worden sind?

Frank Ulrich Montgomery:

Natürlich wissen alle Beschäftigten am UKE, zu denen ich ja im Hauptberuf gehöre, von den Startschwierigkeiten. Es ist richtig, dazu hat der Vorstand ja auch aufgefordert, alle Probleme zu benennen. Die Mängellisten müssen dann abgearbeitet werden. Und wenn einem das nicht zügig genug geht - dann muss man auf den fortbestehenden Mangel hinweisen. Das ist kein Weltuntergang, das beschädigt auch nicht gleich das UKE. Das ist verantwortungsvolles Handeln.

Abendblatt:

Wie erklären Sie sich den zweiten Brief derselben Autoren, in dem diese plötzlich von einer geregelten und geordneten Patientenversorgung sprechen?

Montgomery:

Dieser "gemeinsame" Brief, der von manchen Autoren ja fälschlicherweise als "Unterwerfungserklärung" gedeutet wurde, sagt viel über das Klima am UKE aus. Hier gibt es offensichtliche Kommunikationsstörungen zwischen dem Vorstand und den Leitenden Ärzten. Niemand will ja das UKE als Ganzes beschädigen, alle sind an der Verbesserung der Qualität interessiert. Den Streit will eigentlich auch niemand, und so ist ein Einlenken nur natürlich. Die Chefärzte sind an der Sache interessiert, nicht am Streit.

Abendblatt:

Wie ernst ist die Situation im UKE nach dem Umzug und der Zusammenlegung aus Kostengründen in einen zentralen OP-Bereich Ihrer Meinung nach?

Montgomery:

Ich bin kein Chirurg und habe daher keine Detaileinsicht in die Pläne gehabt. Aber vieles am Neubau macht Sinn und ist vernünftig. Und dennoch sind Startschwierigkeiten unvermeidlich. Rom wurde bekanntermaßen nicht an einem Tag erbaut, und das UKE zog nicht wirklich in nur einer Woche um. Jetzt richten wir den Blick nach vorne: Die Probleme sind durch Zusammenarbeit zu bewältigen, und da sehe ich einen problematischen Bezug zu den öffentlichen Stellungnahmen von Vorstand und Chefärzten. Aus der Position der Demut und der Demütigung heraus kann keine konstruktive Zusammenarbeit entstehen. Hier brauchen wir einen Neuanfang im Miteinander.

Abendblatt:

Wie hoch ist die Belastung von Krankenhaus-Ärzten inzwischen? Ist das noch zu verantworten?

Montgomery:

Die Belastung ist nach wie vor grenzwertig. Trotz Arbeitszeitgesetz und neuem Tarifvertrag müssen Ärzte - und übrigens auch Pflegekräfte - zu viel arbeiten und noch immer um Ausgleich oder Bezahlung ihrer Überstunden kämpfen. Dabei bewegen wir uns in einer Abwärtsspirale: Schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung und öffentlicher Streit führen zu Demotivation, Demotivation führt zu Kündigung, die Verbleibenden müssen mehr arbeiten, mehr Überstunden machen und so weiter und so fort. Hier muss der Vorstand endlich einen Schlussstrich ziehen und für mehr und besser bezahltes Personal sorgen.

Abendblatt:

Hätte das Universitätsklinikum Ihrer Meinung nach in der Anfangsphase nach dem Umzug eher nicht sofort unter voller Auslastung fahren dürfen? Vergleichbar mit einem A380, der beim Jungfernflug auch nicht voll besetzt ist, nur dass es sich hier nicht um Passagiere sondern um Patienten handelt?

Montgomery:

Hinterher ist man immer klüger. Der Gedanke war ja, richtig mit stolzgeschwellter Brust die Leistungsfähigkeit des alten und neuen UKE zu demonstrieren. Man wollte eben keinen Imageschaden durch "Ausweichen" vor der Arbeit. Jetzt ist der Imageschaden durch das Chaos wahrscheinlich viel größer. Aber es ist leicht, hinterher die Strategie zu kritisieren. Noch ein Wort zum Vergleich mit dem A380: Der nimmt in der Maximalversion 800 Passagiere und etwa 20 Beatzungsmitglieder mit. Im UKE aber werden Tausende Patienten versorgt und arbeiten mehrere Tausend Menschen. Der Vergleich mit einem Flugzeugträger erschiene mir von der Größe her passender.

Abendblatt:

Hätte man notfalls Patienten an andere Krankenhäuser abgeben müssen, wenn man von den personellen Engpässen wusste?

Montgomery:

Nun mal halblang: Zu keinem Zeitpunkt bestand eine derartig gefährliche Lage. Wäre das so gewesen, hätte man selbstverständlich Patienten abgegeben. Und auch für die Sperrung der Notfallaufnahme gibt es Richtlinien, die im UKE eingehalten wurden.

Abendblatt:

Ist das UKE nur ein Mikrozenzus für ein Gesundheitssystem, das längst gegen die Wand gefahren ist?

Montgomery:

Das UKE ist ein Mikrozensus eines Gesundheitswesens. Es ist aber Problem und Lösung zugleich. Wenn seine Strategien langfristig funktionieren (und nicht nur in der Nabelschau dreier Monate), dann bietet es gerade die Chance, die Fahrt an die Wand zu vermeiden.

Abendblatt:

Ist es nicht nur noch ein Märchen, dass den Leuten erzählt wird, jeder Mensch in Deutschland, ob Arm oder Reich, bekäme zu jeder Zeit an jedem Ort von jedem Spezialisten jedes Medikament - und das alles umsonst?

Montgomery:

Das ist kein Märchen mehr, sondern eine Grundlüge der Politik. Seit Jahren weisen wir Ärzte die verantwortlichen Politiker darauf hin, dass Heilsversprechen für alle, weniger Geld für die Leistungsträger und Demotivation der Ärzte und Pflegenden nicht zusammenpassen. Die Antwort waren Gesundheitsfonds, Budgets und Arbeitsverdichtung. Dieser Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht - und das ist in meinen Augen nicht mehr weit ...

Interview: Jan Haarmeyer

Frank Ulrich Montgomery ist Präsident der Ärztekammer Hamburg, Vizepräsident der Bundesärztekammer und Radiologe am UKE.