Lob für die Bürger, Tadel für die Politik. Die Sprecherin des Zukunftsrates über den Nachhaltigkeitsstatus in der Stadt

Hamburg. "Global denken, lokal handeln" ist das Motto der sogenannten Agenda21, des umwelt- und entwicklungspolitischen Aktionsprogramms von Rio 1992. Wie es in Hamburg umgesetzt wird, beurteilt Dr. Delia Schindler, Sprecherin des Zukunftsrates Hamburg.

Hamburger Abendblatt:

Wo findet sich die Agenda21 in der Stadt wieder?

Delia Schindler:

Der Begriff bezeichnet das Bürgerengagement auf lokaler Ebene. So haben sich Einwohner von Rothenburgsort im Agenda21-Prozess Kaltehofe dafür eingesetzt, dass die ehemaligen Filtrierbecken der Wasserwerke nicht einer Bebauung weichen müssen, sondern als Naherholungsgebiet "Wasserkunst Kaltehofe" erhalten bleiben. Auch in Eidelstedt, Niendorf, Altona und Harburg gibt es lokale Agenda-Initiativen. Dagegen ist der Zukunftsrat ein Zusammenschluss von Organisationen, der die Aktivitäten und Prozesse im Sinne der Agenda21 fördern will.

Der Zukunftsrat misst jährlich mit 30 Indikatoren den Nachhaltigkeitsstatus der Stadt. Wo gibt es Fortschritte?

Schindler:

Es gibt leider mehr Defizite als Fortschritte. Beispiel Klimaschutz: Hamburg hat ein Klimaschutzkonzept, und der CO2-Ausstoß sank nach den uns vorliegenden Daten bis 2009. Aber nun will der Senat die Klimaschutz-Ausgaben um ein Drittel kürzen. Sehr gut ist die Bildung für nachhaltige Entwicklung: In vielen Hamburger Schulen arbeiten engagierte Lehrer und Schüler an Agenda21-Themen und werden von der Behörde, unter anderem mit Lehrmaterialien, unterstützt.

Wo liegen die größten Defizite?

Schindler:

Die Rio-Agenda forderte ausdrücklich einen kooperativen Politikstil, in den die Bürger einbezogen sind. Seit die SPD regiert, sind wir davon weiter entfernt als je zuvor. 2011 lud die Umweltbehörde zwar zu sieben Umwelthauptstadt-Dialogen mit den Bürgern ein, die gut besucht waren. Doch die dort gesammelten Anregungen fließen nicht in die Stadtpolitik ein, Senatorin Jutta Blankau ignoriert sie komplett. Weitere Defizite: Der Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch ist mit gut fünf Prozent gering. Und der Flächenverbrauch viel zu hoch.

Spürt man in Hamburg als Handelsmetropole auch eine globale Verantwortung?

Schindler:

Die Bürger leisten einen guten Beitrag, indem sie relativ viele Produkte aus dem fairen Handel kaufen. Die Anzahl von Geschäften und Restaurants, die Fair-Trade-Produkte anbieten, ist in Hamburg vergleichsweise hoch. Und Vorreiterunternehmen setzen bei ihrer Einkaufspolitik ehrgeizige soziale und ökologische Standards.

Wer sind denn die wichtigsten Agenda-Akteure?

Schindler:

Bürger, Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Letztere ist weiter als die Politik und manchmal auch weiter als die Kammern. Zudem hat Hamburg mit den Umwelt- und Entwicklungsgruppen eine starke Zivilgesellschaft. Schade, dass die Stadt deren Engagement und Expertise so wenig einbindet, sondern häufig nur zur Selbstdarstellung in Broschüren nutzt. Die Bürger beeinflussen auch als Konsumenten die Nachhaltigkeit der Stadt. Schön ist der Trend zu regionalen Produkten. Gerade in den Bereichen Ernährung und Mobilität könnte die Stadt ihre Bürger auf dem Weg zu einem nachhaltigen Lebensstil viel stärker unterstützen.