Die Harburger Schützengilde gibt es seit fast 500 Jahren. Nur jedes siebte der 350 Mitglieder ist mittlerweile unter 40 Jahre alt.

Harburg. Thomas Lüllau, 55, hat an seinem Amt schwer zu tragen. Gut zwei Kilometer musste der Gildekönig der Harburger Schützengilde von 1528 gestern marschieren - mit schwerem Gewand: Denn wie es sich für einen Harburger König gehört, trug der Mann aus Maschen im Landkreis Harburg eine Königskette mit Dutzenden Königsschildern. "Zum Glück muss ich nicht alle Königsschilder seit 1528 mitschleppen", sagte Thomas Lüllau, "sonst würde ich unter dem Gewicht zusammenbrechen, obwohl ich ja kein Leichtgewicht bin. Aber einen halben Zentner hatte ich schon auf den Schultern."

Thomas Lüllau ist Panasonic-Gebietsverkaufsleiter für Norddeutschland und bis morgen noch Harburger Majestät. Als Gildekönig ist er mit 400 Schützen aus dem Hamburger Süden, 100 Spielleuten und 250 Gästen auf den Harburger Schwarzenberg gezogen. Dieser "Ausmarsch" gehört zur langen Tradition der Harburger Schützengilde. Und zu diesem Ritual gehört auch, dass ein Hamburger Bürgermeister oder Senator mitmarschiert. Gestern kam Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) nach Harburg. Er wohnt in Buxtehude und hat viele Jahre in Harburg gearbeitet. "Die Fähigkeit, Altes und Traditionelles für neue Herausforderungen zu nutzen, ist eine Harburger Spezialität", rief der Senator den Schützen beim traditionellen Spargelessen zu.

+++ König Swantje +++

Tradition hat diese Schützengilde wahrlich: 1528 gegründet von Herzog Otto I. als Bürgerwehr zur Verteidigung Harburgs, gehört sie zu den ältesten Schützengilden Deutschlands. Harburg war von 1527 bis 1642 Residenz einer Nebenlinie des Hauses Braunschweig-Lüneburg. Erst 1937 kam die Stadt Harburg-Wilhelmsburg zu Hamburg.

Seit 484 Jahren findet im Juni das Harburger Vogelschießen statt, in dessen Verlauf der Gildekönig ermittelt wird. 2011 schoss auch Thomas Lüllau auf den 1,50 Meter hohen Holzvogel. Mit dem 1865. Schuss der Königsanwärter fiel der letzte Span vom Rumpf des Holzvogels ab - der Maschener war der Schütze. Seitdem hatte er viel zu tun. 120 Termine hat der König absolviert: befreundete Vereine besucht, bei Königsbällen repräsentiert, bei der Bundeswehr und bei Neujahrsempfängen.

"Man kommt schon viel herum", sagt Thomas Lüllau. "Ohne die Unterstützung meiner Frau Antje hätte ich das nicht geschafft. Wir waren schon immer ein eingespieltes Team, und ohne klare Aufgabenverteilung - sie hat zu Hause die Hosen an und ich im Job - hätten wir die ganzen Pflichttermine nicht einhalten können." Dreimal hat Thomas Lüllau die 25 Kilo schwere Königskette in seiner Amtszeit getragen: beim Landeskönigsball im CCH, in der Schule Weusthoffstraße und gestern beim Ausmarsch. "Diese Tradition gehört bei den Harburger Schützen dazu, und daran werden wir nicht rütteln."

Auf den Schützengeschmack gekommen ist der gebürtige Harburger schon als kleiner Junge. Sein Grundschullehrer nahm die Schüler von der Schule Kerschensteinerstraße immer mit, wenn die Harburger Schützen durch Harburg zogen. Das fand Thomas toll. Und auch sein verstorbener Vater Heinz, Prokurist eines Harburger Eisengroßhändlers, ging gerne zum Spargelessen auf den Schwarzenberg. "Als ich 16 Jahre alt war, durfte ich da dann auch schon mal mein erstes Bierchen trinken", sagt Thomas Lüllau.

Seit 1992 gehört der Besitzer einer HSV-Dauerkarte nun der Harburger Schützengilde an. Er ist Mitglied im Schießclub Oberbürgermeister Grumbrecht - einem der 14 Schießklubs der Gilde. Von Anfang an schätzte Thomas Lüllau die Kameradschaft, die unter den Schützen herrscht. Laut Satzung ist die Gilde ein reiner Männerverein. Und das dürfte noch lange so bleiben. "Ich fühle mich ganz wohl damit", sagt Thomas Lüllau.

Sein Kamerad Enno Stöver aus Langenbek gehört mit 37 Jahren zu den jüngeren Harburger Schützen. Im Berufsleben ist Stöver Teamleiter für die Entwicklung der Montagetechnologie bei Airbus auf Finkenwerder. Bei den Schützen ist er 2. Patron, also Zweiter Vereinsvorsitzender.

Nur noch 50 der 350 Harburger Schützen sind wie Enno Stöver unter 40 Jahre alt. "Aber wir sind kein aussterbender Verein. Unsere Mitglieder sind 16 bis 92 Jahre alt. Natürlich haben wir Nachwuchssorgen wie andere Vereine auch", sagt der Maschinenbauingenieur. "In 16 Jahren werden wir 500 Jahre alt - wo gibt es schon eine solche Tradition? Jahrhundertelang waren wir eine Not- und Hilfsgemeinschaft. Wir werden auch zum großen Jubiläum noch ein großes Netzwerk sein, in dem Kameradschaft und Hilfsbereitschaft im Vordergrund stehen."