Der Chef des Hamburger Konzerns über den Boom der digitalen Medien, die Piratenpartei - und warum er selbst Musik noch immer auf Platte hört.

Hamburg. Mit dem iPhone hat Michael Haentjes so seine liebe Mühe. Einen Vormittag lang hat der Vorstandschef der Hamburger Mediengruppe Edel versucht, seine Lieblingsmusik auf das Mobiltelefon zu übertragen - dann gab er entnervt auf. "Am liebsten höre ich Songs noch immer auf Platte oder CD", sagt der 56-Jährige, während er in seinem gläsernen Büro in Neumühlen sitzt und den Blick über den Hamburger Hafen schweifen lässt. Morgens schaltet er meist einen Oldiesender im Radio ein. "Ich bin Legastheniker, wenn es um den Bedienung elektronischer Geräte geht."

Dabei ist Haentjes Unternehmensgruppe ganz weit vorn bei der Verwertung von Musik und Filmen über die unterschiedlichsten digitalen Kanäle. Immer, wenn über Apples iTunes oder über Amazon Lieder von Scooter, Deep Purple, Keith Jarrett oder auch Filme des Hamburger Regisseurs Fatih Akin heruntergeladen werden, verdienen die Hanseaten ein bisschen mit. Das Tochterunternehmen Kontor New Media bereitet nämlich Songs und Filme so für die digitalen Anbieter auf, dass diese sie ohne Schwierigkeiten ins virtuelle Regal stellen können.

"Durch immer neue, legale Plattformen im digitalen Bereich wächst dieses Geschäftsfeld kräftig", sagt Haentjes. So hat etwa der Musik-Abodienst Spotify erst vor wenigen Monaten sein Angebot auch auf Deutschland ausgedehnt. Mehrere Hundert Kunden zählt Kontor New Media bereits. Im ersten Halbjahr dieses Geschäftsjahrs legte der Umsatz der Tochterfirma um satte 35 Prozent zu. Insgesamt konnte Edel die Erlöse um acht Prozent auf fast 80 Millionen Euro erhöhen. Der Gewinn vor Steuern schnellte gar um 28 Prozent auf 5,5 Millionen Euro in die Höhe. "Im zweiten Halbjahr hoffen wir, in etwa der gleichen prozentualen Größenordnung zulegen zu können", so Haentjes.

Weil die digitale Vermarktung bei Musik und Filmen so gut läuft, will er nun auch das Segment der elektronischen Bücher für Edel erschließen. "Wir wollen in das Geschäft mit E-Books einsteigen", sagt der Alleinvorstand und Mehrheitsaktionär. Derzeit sei sein Unternehmen dabei, die digitalen Rechte an Sachbüchern und Romanen aufzukaufen. "Vor allem den Taschenbüchern werden E-Books in den kommenden Jahren wesentliche Marktanteile abnehmen", ist Haentjes überzeugt. Den Chefsessel im neuen, rein digitalen Buchverlag wird Silvia Kuttny-Walser übernehmen, die zuvor schon in der Geschäftsleitung des Branchenschwergewichts Random House saß.

Das Buchgeschäft der Gruppe will Haentjes zudem durch den Zukauf weiterer, konventioneller Verlage stärken. "Ich habe einige Unternehmen im Auge, die als Übernahmekandidaten infrage kommen." Bislang erscheinen bei Edel vor allem aufwendig gestaltete Musikerbiografien von Amy Winehouse oder Aerosmith-Sänger Steven Tyler, aber auch Kochbücher von Christian Rach oder der Schauspielerin Gwyneth Paltrow.

Die Zuwächse im Buchbereich werden allerdings nicht mehr dem Standort Hamburg, sondern der Hauptstadt Berlin zugute kommen. Dort will Haentjes nämlich die gesamte Buchsparte künftig ansiedeln. "Berlin ist für Buchverlage interessanter als Hamburg. Dort sitzen viele junge Autoren und auch Fotografen", begründet der Edel-Chef seine Wahl. Der Sitz der gesamten Gruppe soll aber in Hamburg bleiben. Einige wenige Arbeitsplätze könnten zwar in die Hauptstadt verlagert werden. Auf der anderen Seite habe man die Belegschaft in der Hansestadt in diesem Jahr aber auch schon von 115 auf 140 Mitarbeiter aufgestockt.

Diese Ambivalenz in der Standortfrage ist typisch für Michael Haentjes. Selten wird man den Edel-Chef dabei erwischen, dass er sich geschäftlich nur für eine Option entscheidet. Er verlegt die Musik der Liedermacherin Tanita Tikaram ebenso wie DVDs der Fernsehserie "Inspector Barnaby" oder Romane über den Science-Fiction-Helden Perry Rhodan. Kritiker könnten diese Auswahl einen Gemischtwarenladen nennen, doch für Haentjes scheint das Konzept aufzugehen.

Auch die jüngsten, stürmischen Zuwächse im digitalen Bereich sind für den Edel-Chef kein Grund, sich vom handfesten Geschäft mit CDs, Platten und gedruckten Büchern zu verabschieden. Noch immer wird das Gros der Edel-Umsätze nämlich von der Tochter Optimal erwirtschaftet, die im mecklenburgischen Röbel ein CD- und DVD-Presswerk sowie eine Druckerei betreibt. Zudem werden in Röbel jährlich rund fünf Millionen klassische Vinyl-Scheiben gepresst - Tendenz steigend.

"Das Mediengeschäft entwickelt sich in zwei Richtungen", sagt Haentjes. "Auf der einen Seite gibt es die Verbraucher, die für Songs oder Texte möglichst wenig bezahlen wollen und am ehesten zu Downloads im Internet greifen." Auf der anderen Seite stünden die Liebhaber, die für aufwendig gestaltete Platten, CDs oder Bücher bereit seien, viel Geld auszugeben. "Mehr denn je kommt es in unserem Business heute auf die Verpackung an."

Und dann holt Haentjes eine über 400 Seiten starke, kiloschwere Biografie über den Schauspieler Klaus Kinski aus dem Regal und knallt sie auf den Schreibtisch. "So ein Buch können Sie in elektronischer Form gar nicht herausbringen", sagt er. Der Band ist so riesig, dass man damit auch jemanden verprügeln könnte. "Das hätte dem Kinski bestimmt gefallen", grinst Haentjes.

In jedem Fall lässt sich das Buch nur äußerst schwer kopieren. Hochwertige Bildbände und sogenannte Earbooks - eine Mischung aus CD und Buch - sind für Haentjes auch ein Weg, um sich gegen das illegale Herunterladen von Medien und Raubkopien zu wehren. Mit Sorge beobachtet der Chef die jüngsten Erfolge der Piratenpartei, die sich für eine Reform des deutschen Urheberrechts starkmacht. "Aus Sicht der Piraten sind wir von den Plattenfirmen die Bösen", sagt er. "Doch in Wahrheit sind sie es, die das Urheberrecht aushöhlen und Deutschland das einzige Kapital nehmen wollen, mit dem wir im weltweiten Wettbewerb bestehen können: geistiges Eigentum."

Der sonst eher gemütliche Edel-Chef ist jetzt richtig laut geworden und genehmigt sich zur Beruhigung erst mal eine Schokopraline, die vor ihm auf dem Tisch liegt. "Es ist wichtig, dass wir auch weiter von unserem Geschäft leben können", sagt er.