Das neue Bündnis in Kiel gibt sich skandinavisch - aber verspricht mehr, als es halten kann

Hamburg nennt sich stolz Deutschlands Tor zur Welt, Schleswig-Holstein hat den eigenen Anspruch in den vergangenen Jahrzehnten etwas tiefer gehängt: Tor nach Skandinavien wollte man sein. Daraus wird nun eine Drehtür. Schleswig-Holstein selbst wird ein bisschen skandinavisch oder genauer, ein bisschen dänisch. Erstmals übernimmt der Südschleswigsche Wählerverband, die Partei der dänischen Minderheit, in Kiel Regierungsverantwortung, geht eine Koalition mit SPD und Grünen ein.

Das Experiment hat Charme. Gerade Schleswig-Holstein, wo der Graben zwischen dem linken und dem bürgerlichen Lager tief ist, täte etwas mehr skandinavische Gelassenheit ebenso gut wie der in Dänemark ausgeprägte Sinn dafür, dass alle Parteien dem Gemeinwohl verpflichtet sind und Probleme gemeinsam mit den Bürgern lösen wollen. Diesen Anspruch hat auch die Dänen-Ampel. Sie versteht sich als "Koalition des Dialogs", die Schleswig-Holstein "neue Horizonte" eröffnet.

Im Koalitionsvertrag gibt es dazu einige Ansätze, etwa in der Bildungspolitik. Es ist richtig, den Sparkurs in den Schulen etwas aufzuweichen, mehr Geld als geplant in Zukunft der Kinder zu investieren und so das Gefälle zu den deutlich besser ausgestatteten Schulen in Hamburg nicht zu vergrößern. Die kleine Bildungsoffensive in Schleswig-Holstein steht bisher aber nur auf dem Papier. Sie ist wie viele andere rot-grün-blaue Versprechen nicht solide gegenfinanziert.

In dieser Situation kann einem angst und bange werden, wenn vor allem die SPD den Eindruck erweckt, dass nach der Bundestagswahl auch im Pleiteland Schleswig-Holstein Milch und Honig fließen. SPD-Chef Ralf Stegner baut auf bis zu 600 Millionen Euro, die eine rot-grüne Bundesregierung mit einer höheren Besteuerung von Spitzenverdienern, Vermögenden und Erben in die klamme Kieler Kasse spülen könnte. Solche Tagträume sind erlaubt, aber keine Grundlage für eine seriöse Haushaltspolitik.

Auch in anderen Bereichen gibt es erste Anhaltspunkte, dass das politische Experiment in Schleswig-Holstein schiefgehen kann. Das Dreierbündnis will auf Druck des SSW den Landesteil Schleswig stärken und die deutsch-dänische Grenze durchlässiger machen. Aus dem Blick gerät dabei Holstein und der wichtigste Nachbar des Landes, die Metropole Hamburg. Die Koalition beschränkt sich auf eine punktuelle Zusammenarbeit und verzichtet bewusst darauf, die Partnerschaft von Schleswig-Holstein und Hamburg strategisch auszubauen und so den Weg zu einem Nordstaat zumindest offen zu halten.

Schleswig-Holsteins designierter Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) hat vergeblich versucht, eine andere Brücke nach Hamburg zu bauen und engagierte Politiker aus der Metropole als Minister ins Kieler Kabinett zu holen. Britta Ernst, Ehefrau von Bürgermeister Olaf Scholz, und Aydan Özoguz, Gattin von Innensenator Michael Neumann, zeigten wenig Interesse. Der Reederspross und SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Erck Rickmers saß fast schon auf dem Stuhl des Wirtschaftsministers und winkte dann in letzte Minute ab. Schade.

Mit der Dänen-Ampel rückt Schleswig-Holstein nicht nur von Hamburg ab. Mit dem Beschluss, die A 20 vorerst nur bis zur A 7 zu bauen, wird Hannover düpiert. Die Niedersachsen müssen für ihre Planungen wissen, ob und wann die A 20 samt Elbquerung bei Glückstadt kommt.

Selbst der Kern des Kieler Experiments, ein anderer Politikstil, ist nicht in Sicht. Die Dänen-Ampel will teils radikal die Gesetze für Schule, Hochschule, Sparkassen, Glücksspiel, Denkmalschutz und Natur ändern und so mit ihrer Einstimmenmehrheit vieles von dem sofort revidieren, was die schwarz-gelbe Koalition vorher ebenfalls mit Einstimmenmehrheit beschlossen hat.