5000 Yachten sind in der Hansestadt registriert. Viele Eigner starten jetzt in die Saison. Das Abendblatt stellt Hamburger und ihre Liebe zum Boot vor

Hamburg. Es ist ein sehr entspannter Wirtschaftssenator, der sich da nach längerem Klingeln am Mobiltelefon meldet: Ja, ein kurzes Interview würde gerade gehen: Der Yachthafen Wedel liege querab, der Ebbstrom schiebt gut voran, und alles sei gut, auch Wind und Wetter. Und vor allem: Zwei Tage Boot liegen vor Frank Horch, auf seinem "Refugium Schiff", wie er sagt. "Hier fällt alles von mir ab, hier geht es mir gut, egal, was ist." Ein Leben ohne Boot - für den parteilosen Senator und früheren Manager wäre das kaum vorstellbar. "Das war mir immer wichtig, wichtiger sogar als ein eigenes Haus", sagt er. Selbst die kurzen Momente, vielleicht nur ein Spätnachmittag vor Anker irgendwann in einer Bucht der Elbe, brächten ihm so viel, sagt er. "Da ist man sofort in einer anderen Welt."

Eine Welt allerdings, die in Hamburg gar nicht so exotisch ist: Zwar wird Kiel immer als Segelhauptstadt bezeichnet, gemessen an der Zahl der Liegeplätze aber dürfte Hamburg größer sein. Alster, Elbe, Bille - etliche Häfen für Yachten gibt es hier. Der Hamburger Yachthafen in Wedel hat 2000 Liegeplätze, er gilt als einer der größten Europas. 600 Plätze allein gibt es aber auch im Rüschkanal auf Finkenwerder. Allein der Hamburger Segler-Verband zählt 14 000 Mitglieder, sagt sein Vorsitzender Harald Harmstorf, der wie viele schon als kleiner Junge mit dem Segeln auf der Elbe angefangen hat.

"Unser Hausrevier, wer hier zurechtkommt, schafft es überall", wie Harmstorf sagt: Gut 5000 größere Segelboote sind in Hamburg registriert, schätzt er. Hinzu kommen noch einmal etwa 1000 Motorboote, Tausende Jollen, Kanus und Ruderboote. Und seit einigen Tagen ist auch das Hamburger Abendblatt mit einem eigenen Boot in der HafenCity dabei, um mit der Alu-Konstruktion in Anmutung eines Zeitungsschiffchen maritime Verbundenheit zu zeigen: Der Hamburger und sein Boot - das ist eben eine gar nicht so seltene Kombination: 82 Vereine gehören zum Hamburger Segler-Verband. Von A wie Akademischer Seglerverein bis Z wie Yachtclub Zollenspieker. Der ursprünglich einmal vor mehr als 150 Jahren in Königsberg gegründete Hamburger Segelclub RHE ist sogar der älteste Segelverein Deutschlands. Nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs trafen sich Königsberger Segler in Hamburg zufällig wieder und ließen die Tradition aufleben.

Segeln ist im Norden eben schon ein sehr altes Hobby: Zunächst waren es Adel und Hochfinanz, die mit bezahlter Crew auf Wettfahrt gingen. Gustav Krupp von Bohlen feierte mit seiner "Germania" Siege, die Yacht des Kaisers "Meteor" war legendär. Man sprach von Lustsegeln - weit weg vom harten Leben auf den segelnden Fischkuttern. Bald schon kam aber das Fahrtensegeln dazu. Ein nicht ganz so teures Hobby, obwohl mancher Segler heute noch gerne selbstironisch davon spricht, dass Segeln etwas sei, das man mit dem Zerreißen von Hundert-Euro-Scheinen unter einer kalten Dusche vergleichen könne.

Um 1900 schon war es in Hamburg gar nicht unüblich, ein eigenes Boot zu haben. Als Hobby, nicht als Beruf wohlgemerkt. Über die Faszination dieser Freizeit auf See schrieb seinerzeit schon die "Illustrirte Zeitung": "Dass man eine Yacht haben kann, die imstande ist, die Nord- und Ostsee auf tagelangen Touren zu kreuzen, die dem Besitzer und seiner Familien oder auch mehreren Freunden Wochen hindurch ein schwimmendes Heim bietet, das die Benutzung von Hotels auch für recht verwöhnte Sterbliche entbehrlich macht, ohne viel dafür auszugeben, als man für einen mehrwöchigen Badeaufenthalt ohnehin in den Etat einstellen muss, dürfte den meisten Laien kaum glaublich erscheinen."

Ein ziemlich langer Satz, aber einer, der noch immer gelten dürfte. Abenteuerlust und Fernweh müsste man wohl noch hinzufügen, wenn man begreifen will, warum das Fahrtensegeln und das Besitzen eines eigenen Boots so populär geworden ist. Zumal in Hamburg: 1927 kehrte Kapitän Carl Kircheiß als erster deutscher Weltumsegler mit seinem zur Yacht umgebauten Fischewer "Hamburg" zurück an die Elbe. Der Hamburger Hans Domizlaff segelte in den 1930er-Jahren mit seiner Yacht "Dirk III" bis weit in den Norden Norwegens - auch er ein Vorbild für viele Hamburger Wassersportler. Berühmte Segler weckten auch nach dem Krieg die Sehnsucht nach Meer: Rollo Gebhard, allerdings ein Österreicher, segelte einhand mit einem nur 5,50 Meter langen Boot übers Mittelmeer. Ende der 1960er-Jahre brach dann Wilfried Erdmann auf, um als erster Deutscher allein mit dem Boot die Welt zu umrunden. Bald schon revolutionierte Kunststoff den Bootsbau, die eigene Yacht wurde erschwinglicher. Doch heute zwingt die Demografie die Branche zu Bescheidenheit. Das Durchschnittsalter der deutschen Bootsbesitzer liegt bei 58 Jahren. Zeit fürs Boot zu haben ist in einer immer schneller sich drehenden Arbeitswelt selten vorhanden.

Mit 48 Jahren ist Stefan Ehrsan daher noch einer der jüngeren Hamburger mit Boot. Im Finkenwerder Rüschkanal hat er seine "Cater 34" in diesen Tagen für die Saison vorbereitet - wie so viele andere Bootsbesitzer im Mai auch. Ein schnelles Schiff, das der Lehrer aber mit Familie segelt. Viele andere allerdings, so glaubt er, die chartern heute lieber, als dass sie die Mühsal eines eigenen Boots auf sich nehmen. Hans-Detlef Roock hat das auch jahrelang so gemacht.

Der ehemalige Marinesoldat und Hamburger CDU-Bürgerschaftsabgeordnete segelte auf Marineyachten, auf gemieteten Schiffen und Booten von Freunden. Doch vor Kurzem hat er sich für einen eigenen Kiel entschieden: Für eine zwölf Meter lange "Aphrodite 42", die er sich mit seinem Altonaer Parteifreund Uwe Szczesny teilt. Das eigene Boot sei ihm wichtig, um die Seele baumeln zu lassen, um Stress abzubauen - und auch um sich in der Natur zu bewähren. "Und die kann manchmal brutal sein", sagt der erfahrene Segler. "Unsere Probleme, so an Land im politischen Alltagsgeschäft, meint Roock, die erscheinen dann "ganz, ganz klein."

Ist das eigene Boot also auch eine Art Fluchthelfer? Weit weg muss es jedenfalls nicht immer sein. Hans Köhler etwa fing mit dem Faltboot an, verbrachte die Sommer als Jugendlicher auf den Elbinseln vor Blankenese. Seit 1972 segelt er mit seiner Frau einen wunderschön restaurierten 20er-Holzjollenkreuzer. Immer auf der Elbe, meist direkt vor seiner Haustür in Teufelsbrück - die schnell weit weg sein kann. "Wenn ich um die Hafenmole biege, bin ich in einer anderen Welt."

Der Wirtschaftssenator und seine Hallberg-Rassy

Frank Horch, 58, wuchs an der Oste auf. Als kleiner Junge nahm ihn ein Kümo-Kapitän mit auf eine Fahrt nach Hamburg. Horch war fasziniert, packte kräftig mit an - und bekam das alte Rettungsboot vom Kapitän geschenkt. Er baute es zur Jolle um und kam vom Segeln nie wieder los. Seine Schiffe wurden größer, mit dem Verkauf der älteren Boote finanzierte er seine neuen Yachten. Heute hat er eine Hallberg-Rassy 43. "Für mich war das eigene Boot immer wichtiger als das eigene Haus", sagt der Senator. Das Schiff ist sein Refugium, wie er sagt. "Wenn ich hier bin, ist alles gut."