Komplexe Technik und Genehmigungsverfahren verzögern den Bau. Doch Offshore-Anlagen sind für die Energiewende unverzichtbar.

Wismar/Berlin. Für das, was Erwin Schröder und seine Leute derzeit bei Nordic Yards in Wismar tun, fehlt ihnen jedes Vorbild. Rund 1000 Schiffe vieler Typen hat die Werft in Mecklenburg-Vorpommern seit ihrer Gründung Ende der 1940er-Jahre gebaut. Aber die riesigen Stahlstrukturen, die derzeit im Baudock in der Haupthalle entstehen, sind reine Pionierarbeit. "Wir arbeiten beim Aufbau der Plattform mit Feinkornstahl, der besonders biegsam und gleichzeitig besonders fest ist", sagt Schröder, 56, der Fertigungsleiter der Werft. "Das ist wesentlich anspruchsvoller als im Schiffbau normalerweise üblich. Die Schweißer brauchen dafür eine besondere Qualifikation, und die nötige Dokumentation der Bauarbeiten ist weitaus umfangreicher."

Bei Nordic Yards in den Hansestädten Wismar und Rostock entstehen derzeit drei Umspannwerke für Siemens. Auch der Weltkonzern betritt mit dem Bau der Anlagen neues Terrain. Die sogenannten HGÜ-Plattformen sind Herzstücke beim geplanten Aufbau der Offshore-Windparks vor allem in der deutschen Nordsee. Tausende Windkraftwerke sollen vor den Küsten von Nord- und Ostsee in den kommenden Jahren auf dem Meer errichtet werden. Vor allem auf der Nordsee, so die Prognosen, werden die Anlagen wegen des konstanten Windes das ganze Jahr über verlässlich Strom erzeugen. Sie sind unverzichtbar für den Aufbau einer Energieversorgung, die Kohle- und Atomkraftwerke langfristig ersetzen soll.

Doch der Strom muss auch in die Netze an Land gelangen. Für Windparks, die mehr als 60 Kilometer von der Küste entfernt liegen, entwickelt Siemens Umspannwerke, die den Wechselstrom aus Windturbinen in Gleichstrom umwandeln. So kann er ohne Verluste besser über längere Distanzen transportiert werden. An den dazugehörigen Landstationen wird der Strom wieder in Wechselstrom umgewandelt und in das Hochspannungsnetz eingespeist.

Siemens, aber auch andere Hersteller wie ABB oder Alstom zahlen derzeit Lehrgeld für den Bau der hoch komplexen Offshore-Umspannplattformen auf See. In den ersten beiden Quartalen seines bis Ende September laufenden Geschäftsjahres stellte Siemens fast 500 Millionen Euro zurück, weil sich die Fertigstellung der Offshore-Anlagen und die Landanschlüsse von Windparks deutlich verzögern. "Wir haben die Komplexität der Projekte in ihrer Dimension unterschätzt", sagte Siemens-Chef Peter Löscher Ende April. Die Gewinnprognose für das Geschäftsjahr 2011/2012 wurde gesenkt. Die beiden Plattformen "BorWin beta" und "HelWin alpha" für Windparks vor Borkum und Helgoland, deren Rohbau bei Nordic Yards weit fortgeschritten ist, werden wohl 2013 auf der Nordsee installiert - gut ein Jahr später als ursprünglich geplant. Für die dritte Plattform, die Anlage "SylWin alpha", mit deren Bau Nordic Yards dieser Tage beginnt, ist der Einsatztermin noch unklar.

Beim Aufbau der Offshore-Windparks muss Siemens Hürden überwinden, deren Höhe von allen Beteiligten unterschätzt wurde - von den Unternehmen ebenso wie von der Politik und den Genehmigungsbehörden. Etliche Monate Zeit kosten allein die Genehmigungsverfahren für die Umspannwerke, die Siemens im Auftrag des Netzbetreibers TenneT baut.

Geprüft werden die Risiken von Schiffskollisionen ebenso wie Baulärm im Meer, die Stabilität von Fundamentkonstruktionen wie auch die Notausstiegsluken für die Besatzung. Auf der Tagesordnung steht die Beeinträchtigung von Schweinswalen wie auch von Seehunden und Vogelpopulationen. 48 Genehmigungsverfahren sind nötig, um die Zulassung für eine Plattform zu erwerben - für jede Anlage einzeln, ein Standardverfahren gibt es noch nicht. "Der Bau der ersten Offshore-Umspannwerke ist so, als würde man einen Prototypen als Serienfahrzeug auf die Straße bringen wollen", sagt ein Insider. "Bei künftigen Anlagen muss das alles mit viel einheitlicheren Verfahren und Abläufen geschehen, damit die Wirtschaftlichkeit gesichert ist."

Bis zum Jahr 2020 sollen in Windparks auf der deutschen Nord- und Ostsee mit mehreren Tausend Anlagen insgesamt 10 000 Megawatt Leistung installiert sein, so das Ziel der Bundesregierung. Derzeit sind kaum mehr als 100 Megawatt am Netz. Dass die Energiewende vor allem zur See bislang in der Flaute steckt, liegt auch in der Verantwortung der Bundespolitik. Eine wuchtige und zentrale politische Unterstützung aus Berlin für das wohl wichtigste deutsche Infrastrukturprojekt seit Jahrzehnten gab es im zurückliegenden Jahr nicht. Nach der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima im März 2011 beschloss die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zwar das Ende der Atomkraft in Deutschland bis zum Jahr 2022 und den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Doch vor allem bei der Offshore-Windkraft gab es nur geringe Fortschritte. Die aber ist wegen der zu erwartenden konstanten Stromerzeugung, der sogenannten Grundlastfähigkeit, unverzichtbar für die gesamte Energiewende in Deutschland.

Der neue Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) räumt die Defizite offen ein. Altmaier ist Nachfolger von Norbert Röttgen (CDU), den Merkel vergangene Woche nach dessen Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen entlassen hatte. "Es gab Kommunikationsstörungen. Ich werde auf die Wirtschaft zugehen und Gesprächsblockaden lösen", sagte Altmaier nun bei einem seiner ersten öffentlichen Auftritte als Minister bei einer Windkraft-Konferenz der "Welt" in Berlin: "Wir haben einen völlig unkoordinierten Ausbau von erneuerbaren Energien und Netzen in Deutschland. Die Windkraft ist und bleibt aber das Rückgrat der Energiewende in Deutschland. Wir müssen die Offshore-Windkraft und die dazugehörenden Netze zu einer starken Infrastruktur ausbauen."

Für die Energieversorgung in Deutschland steht viel auf dem Spiel. Nirgends sonst auf der Welt werden Windparks so weit vor den Küsten und in solch großen Wassertiefen installiert. Bei Nordic Yards in Wismar werdendie Größenordnungen dieser Projekte deutlich: 60 Meter Seitenlänge und30 Meter Höhe misst der Aufbau der Plattform "HelWin alpha". Auf ihrem verstrebten Stahlfundament wird die Plattform im Meer künftig vom Boden bis zum Dach rund 100 Meter messen. Hinter dem Aufbau für HelWin ragt das Untergestell von BorWin in die Halle empor. Es wird direkt auf das Deck eines Schwergutschiffes gebaut und von diesem später auf See gebracht. Die Aufbauten der Plattformen wiederum schwimmen selbst. "So gesehen sind es quasi Schiffe ohne eigenen Antrieb", sagt Fertigungsleiter Erwin Schröder. Nach dem Endausbau wiegen die Umspannwerke mehr als 10 000 Tonnen, die Untergestelle gut 3500 Tonnen.

Zwischen den Schweißern stehen etliche Holzkisten mit Innenausrüstung für die Plattform. Dutzende Mitarbeiter von Siemens arbeiten am Innenleben von HelWin. Das Umspannwerk muss höchsten Anforderungen genügen. 30 Jahre soll die Anlage auf See zuverlässig ihre Arbeit verrichten. Das Innere muss dafür dauerhaft frei von Korrosion und vor allem von möglichen Quellen für Kurzschlüsse gehalten werden. "Das ist vergleichbar mit dem Standard der Reinraumtechnik, der auch bei der Herstellung von Speicherchips in der Informationstechnologie angewendet wird", sagt Schröder. Schwerindustrie und Hochtechnologie kommen hier auf engstem Raum zusammen. Im Dreischichtbetrieb treiben Schröders Männer den Rohbau zum Abschluss: "Wir liefern termingerecht", sagt er. Darauf ist Schröder besonders stolz.