Kliniken müssen für niedergelassene Haus- und Fachärzte einspringen. 570.000 Patienten jährlich in Hamburger Notaufnahmen behandelt.

Hamburg. Es sind dramatische Fakten, die deutsche Notfallmediziner veröffentlicht haben: Von 2010 auf 2011 ist die Zahl der Patienten, die die Notaufnahme einer deutschen Klinik aufgesucht haben, um gut fünf Millionen auf 21 Millionen gestiegen. Nach Angaben der Hamburger Krankenhausgesellschaft (HKG) werden allein in Hamburg mittlerweile etwa 570.000 Patienten jährlich in einer der 21 klinischen Notaufnahmen behandelt.

Damit zeigt sich in den Krankenhäusern der Stadt eine Entwicklung, die führenden Notfallmedizinern zunehmend Sorge macht: Immer mehr Patienten melden sich in der Notaufnahme eines Krankenhauses, weil sie bei ihrem Haus- oder Facharzt keinen Termin mehr bekommen.

"Unsere Notaufnahmen müssen immer häufiger die medizinischen Dienstleistungen erbringen, die eigentlich zu den Aufgaben der niedergelassenen Ärzteschaft gehören", bestätigt der Hamburger Arzt Dr. Michael Wünning, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Chefärzte interdisziplinärer Notaufnahmen. Aufgrund der von den Krankenkassen verordneten Abrechnungen über Kopfpauschalen und Punktesystem wiesen Haus- und Fachärzte zum Ende eines jeden Quartals regelmäßig Patienten ab.

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Wünning und seine Kollegen befürchten, dass durch diese Entwicklung das grundsätzlich gute System der Notfallmedizin in Gefahr gerät. Umso nachdrücklicher fordern sie die Einführung eines "Facharztes für Notfallmedizin", der für eine schnelle und standardisierte Diagnostik und Erstbehandlung stünde. "Unser Ziel ist es, dass kein Patient ohne eine zuverlässige medizinische Einschätzung seiner Behandlungsdringlichkeit in das Wartezimmer oder in die Notaufnahme gelangt und bei Bedarf nach höchstens einer Viertelstunde Kontakt mit einem Facharzt bekommt", sagt Wünning.

Auch Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer sowie der Hamburger Ärztekammer, spricht von einer "beträchtlichen Arbeitsverdichtung" im Krankenhaus. Dabei gebe es immer wieder auch Kommunikationsprobleme. "Infolgedessen kann es manchmal vorkommen, dass Ärzte ein gesundheitliches Problem im Vergleich zu schwerwiegenden Fällen rein fachlich als nicht so gravierend beurteilen", sagte Montgomery dem Abendblatt. "Außer Frage steht aber, dass ein Patient im Notfall so schnell wie möglich die Hilfe bekommen muss, die er benötigt."

Dr. Claudia Brase, Geschäftsführerin der Hamburger Krankenhausgesellschaft, des Hamburger Dachverbands der Krankenhausträger, sieht die Situation weniger dramatisch. "Nach unserer Einschätzung ist die Zahl der Notaufnahmen und Notfallambulanzen ausreichend, um die Hamburger Bevölkerung und das Umland der Metropolregion zu versorgen", sagte sie dem Abendblatt. Zugleich wies sie jedoch darauf hin, dass der Patientenstrom aus dem Hamburger Umland in den vergangenen Jahren stetig zugenommen hat.

In einem Punkt allerdings sind sich alle Parteien einig: Die ambulante Notfallvergütung muss sich künftig stärker an den betriebswirtschaftlichen Bedürfnissen der Krankenhäuser orientieren. Claudia Brase: "Die Notfallpauschale von rund 25 Euro pro Patient ist einfach zu gering!"