Der Grund: Eltern hatten Versichertenkarte vergessen. Die verzweifelte Mutter: “Für meine Tochter hat sich niemand interessiert!“

Hamburg. Es ist der blanke Horror für alle jungen, unerfahrenen Eltern: Das Baby schreit und schreit, läuft plötzlich blau an und droht zu ersticken. Doch zum Glück ist das nächste Krankenhaus nur wenige Autominuten entfernt - das Bethesda, "Ihr modernes Krankenhaus im Hamburger Südosten", das laut Eigenwerbung "für kompetente fachliche Behandlung und pflegerische Betreuung nach den Grundsätzen einer humanen Gesundheitsversorgung steht".

Doch als Lisa Günes, 27, und ihr Mann Aytekin, 30, gemeinsam mit ihrer acht Monate alten Tochter Mila sowie einigen Verwandten und Freunden in die Zentrale Notaufnahme (ZNA) des Bethesda kommen, erleben sie - aus ihrer Sicht - den zweiten Albtraum: Die ZNA ist brechend voll, denn es ist Sonnabendnacht. Zum anderen "bestand die Aufnahmeschwester als Allererstes auf der Versicherungskarte", sagt Lisa Günes, "für meine Tochter hat sich niemand interessiert!"

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Doch Lisa Günes hat die Karte in ihrer Panik zu Hause vergessen. Sogenannte "Selbsteinweiser" wie das Ehepaar Günes, die nicht mit dem Notarzt, sondern noch aus eigener Kraft die Notaufnahme eines deutschen Krankenhauses erreichen, haben häufig ein Problem: In den ZNA soll möglichst schnell entschieden werden, welche medizinische Fachabteilung für die weitere Versorgung des Patienten geeignet ist. Entschieden wird dabei nach Dringlichkeit, und zwar "auf den ersten Blick". Kritiker des deutschen Notfallmedizinsystems bemängeln jedoch, dass die Frage nach der Versicherungskarte vielerorts zunächst wichtiger zu sein scheint als die Beschwerden der Patienten. Doch Lisa Günes hatte im Bethesda-Krankenhaus schon entbunden und versteht daher diese Frage sowieso nicht: "Meine Daten lagen doch vor!", sagt sie. Doch die Schwester bleibt hart: ohne Karte keine Notaufnahme.

In diesem Moment erscheint ein Bereitschaftsarzt. Mila spuckt einen handtellergroßen Batzen Schleim auf die Jacke ihrer Mutter. Die Gesichtsfarbe des Kindes ist wieder rot. "Der Arzt sah sich mein Kind kurz und sagte: ,Wenn es schreit, dann atmet es. Kein Grund zur Sorge'", sagt Lisa Günes.

Doch mit dieser Kurzdiagnose können sich die panischen Eltern nicht zufriedengeben. "Der Arzt erklärte ihnen daraufhin noch einmal, dass es bei dem Kind absolut keine Anzeichen für eine medizinische Indikation geben würde", sagt Andreas Rasche, Sprecher des Bethesda. "Er versuchte ihnen auch zu erklären, dass unser Haus keine eigene Pädiatrie unterhält."

Dennoch fühlen die Günes sich abgespeist. Der aufgebrachte Vater hält dem Krankenhauspersonal anklagend das brüllende Kind entgegen. Seine Verzweiflung ist groß, die Angst um Mila ist noch größer. Die Nerven liegen blank. Sein Bruder mischt sich ein, von "unterlassener Hilfeleistung" ist plötzlich die Rede, der Ton wird rauer, "letztendlich wohl auf beiden Seiten", sagt Andreas Rasche, "wobei unser Personal psychologisch geschult ist. Je aufgeregter die Patienten sind, desto ruhiger soll es reagieren." Am Ende sind jedoch alle Beteiligten beleidigt. Das Krankenhauspersonal empfiehlt der Familie, sich ans Kinderkrankenhaus Wilhelmstift zu wenden. Die Günes willigen ein. Sie bestehen auf einem Rettungswagen, aber sie haben kein Mobiltelefon dabei. "Wir mussten erst massiv werden, bis man für uns einen Krankenwagen rief", sagt Lisa Günes. Der kommt dann aber tatsächlich ziemlich schnell. Als sie mit ihrer Tochter jedoch das Wilhelmstift erreicht, hat sich die Situation beruhigt: Die erschöpfte Mila schläft, sie hatte sich lediglich eingeschrien.

Zur gleichen Zeit will Aytekin Günes sich den Namen der Aufnahmeschwester geben lassen, um sich später beschweren zu können, doch die Angestellte verdeckt ihr Namensschild mit der Hand. Die Stimmung in der ZNA des Bethesda ist überreizt. Schließlich gelingt es, ihn und seine Verwandtschaft davon zu überzeugen, Mutter und Tochter in das Wilhelmstift zu folgen. "Dort haben wir dann zwei Stunden gewartet, aber ein Arzt kam dort auch nicht", sagt Lisa Günes. Denn auch im Wilhelmstift werden Notfälle nach Dringlichkeit versorgt. Und die ist offensichtlich nicht mehr gegeben. Mila atmet ganz normal. Und schläft. Das überforderte Ehepaar fährt schließlich heim.

Der kleinen Mila geht es inzwischen wieder gut. Muss man jedoch als Notfallpatient fürchten, im Bethesda (oder in einem anderen Krankenhaus) abgewiesen zu werden, bloß weil man keine Versichertenkarte dabeihat?

"Natürlich nicht", sagt Andreas Rasche. "Wir haben in diesem Fall angemessen und richtig reagiert, und wie es sich ja später im Wilhelmstift auch herausstellte, lagen wir mit unserem Befund richtig." Hundertprozentig könne man den Fall nicht mehr nachvollziehen. "Deshalb möchten wir dem Ehepaar Günes anbieten, sich an unser Beschwerdemanagement zu wenden, um alle Unstimmigkeiten aus dem Weg zu räumen." Rasche betont, dass es sich gerade beim Bethesda um eine sehr transparente Klinik handele. Außerdem sei man stets interessiert dazuzulernen.