Wenn im Alten Land die Apfelbäume blühen, sind nicht nur bekannte Sorten dabei. Seit Jahren basteln Obstbauern an neuen Züchtungen.

Altes Land. Die kleine Biene wirft sich ordentlich ins Zeug. Von allen Seiten pflügt sie durch die Apfelblüte, klettert sogar von hinten noch mal hinein, und dabei sammelt sie in ihrem braunen Pelz unablässig Blütenstaub. Erst nach geschlagenen vier Minuten summt sie zum nächsten Baum.

Auch Ausflügler können sich freuen: Die Apfelblüte ist mit dem milden Wetter schnell in Gang gekommen. Vor anderthalb Wochen zeigte die Braeburn-Plantage von Obstbäuerin Annegret Barghusen in Neuenfelde noch fest geschlossene rosa Knospen, während ihre Bürgermeisterbirnen schon in voller Blüte standen. Kirschen, Birnbäume und eine Zwetschge sind in jedem Jahr die ersten Blüher, sagt sie. Die Äpfel lassen sich fast immer Zeit bis Mai. Jetzt färben sie die Landschaft weiß.

Und nicht zuletzt dem Arbeitspensum der Bienen wird das Alte Land im Herbst, wenn alles gut geht, wieder eine Apfelernte von knapp 300 000 Tonnen verdanken können, 2009 und 2007 waren es sogar 330 000 Tonnen. Dabei entfallen allein 63 Prozent auf zwei Sorten, die auch Annegret Barghusen in ihrem Hofladen verkauft: Elstar und Jonagold. Selbst beliebte Sorten wie Braeburn und Boskop bringen es nur auf einstellige Prozentanteile.

Wo sind eigentlich all die Renetten, Goldparmänen und Glockenäpfel von früher geblieben? Alte Sorten wie der Finkenwerder Herbstprinz liegen heute unter einem Prozent, sagt Dr. Matthias Görgens, stellvertretender Leiter der Obstbauversuchsanstalt in Jork. Ihn wundert das nicht: "Zwar wird nach alten Sorten immer mal wieder gefragt. Aber wir haben mit Geschmackstest herausgefunden: Neue Sorten wie Kanzi und Rubens schmecken vielen Verbrauchern gut, während alte Sorten nur einer kleinen Gruppe schmecken."

Das bestätigten auch Direktvermarkter, die ihre Äpfel in Hofläden oder auf Wochenmärkten anbieten. Görgens erklärt sich das mit "dem nostalgischen Flair", das alte Sorten umgibt: "Die Leute verbinden damit weniger eine Sorte als das Bild eines großen alten Apfelbaums, wie sie ihn noch aus der Kindheit kennen. Heute sind die Bäume viel kleiner." Geschmack, weiß Görgens, ist dem Wandel unterworfen. Heute werden Äpfel bevorzugt, die rot, saftig und ein bisschen, aber nicht zu säuerlich sind. Damit fallen mehlige Sorten, die früher für Kompott oder Pfannkuchen verwendet wurden, schon mal unter den Tisch. Aber auch viele aktuelle Sorten sind aus Kreuzungen mit altbewährten entstanden.

So zum Beispiel der Gloster, den die Obstbauversuchsanstalt Jork in den 1950er-Jahren aus dem alten Glockenapfel und dem amerikanischen Richared Delicious züchtete; oder der Jamba, eine Kreuzung zwischen dem Sommerapfel Melba und dem ursprünglich schottischen James Grieve. Aus Sicht der Obstbauern ist wichtig, dass eine Sorte verlässlich gleich große Äpfel hervorbringt (was nicht selbstverständlich ist), die sich gut lagern lassen und resistent gegen Pilzkrankheiten sind. Das macht die Sortenvielfalt seit Jahren überschaubar.

Aber das heißt nicht, dass im Alten Land neue Apfelsorten verpönt wären. Seit Jahren wird an neuen Züchtungen gebastelt - und das überlässt man nicht den Bienen. Im Jahr 2002 gründeten acht Altländer Obstbauern die Züchtungsinitiative Niederelbe (ZIN) mit inzwischen 175 Mitgliedern.

"Wir sind durch ganz Europa gefahren und haben uns mit anderen Züchtern beraten", sagt ZIN-Sprecher Ulrich Buchterkirch. In einem Züchtungsplan legten sie fest, mit welchen Kreuzungen sie arbeiten wollten - zu den "Eltern" gehören auch alte Sorten. Heute lassen die Mitglieder pro Jahr 2000 bis 3000 Sämlinge ihrer Kreationen auf einem Selektionsfeld in Kehdingen beobachten. Nach der mehrjährigen Selektionsstufe I bleiben davon nur 25 bis 40 neue Kreuzungen pro Jahr weiter im Spiel, die nach Aussehen, Fruchtgröße und Geschmack für weitere Auswahlrunden infrage kommen. Noch tragen diese Sorten Nummern und keine Namen. Am Ende bleiben nur eine oder zwei übrig, die es wirklich bis zum Verbraucher bringen könnten.

Wie das Züchten genau gemacht wird, kann einer wunderbar erklären: Peter Klock, Pflanzen- und Baumexperte, Buchautor und Seniorchef der Gärtnerei Südflora in Witzeeze bei Lauenburg. Er hat unzählige Sorten "veredelt", so der Fachausdruck, und wenn er davon erzählt, klingt es, als würde er jedes Reis persönlich kennen. Seine Geschichte zeigt aber auch, wie unendlich mühselig der Weg zum Apfel ist.

+++ Obstbauern im Alten Land fühlen sich "veräppelt" +++

Apfelbäume sind keine Selbstbestäuber, sie müssen also fremdbestäubt werden, erklärt Klock. Eine neue Kreuzung findet oft in Bestäubungsgärten statt. Die Pollen des "Vater"-Baums werden abgefegt und dann mit dem Pinsel auf die Blüten des "Mutter"-Baums aufgetragen - von Hand also. So wollen die Züchter sicherstellen, dass möglichst wenige Fremdpollen eindringen, etwa im Pelz von Bienen und Hummeln.

Aus den Äpfeln des Mutterbaums werden dann die Sämlinge (Apfelkerne) gewonnen, auf die es ankommt. Einfach im Topf anpflanzen? "Dann passiert meistens überhaupt nichts. Wenn einer unter 1000 Sämlingen keimt, haben Sie noch Glück gehabt", sagt Klock. Den Grund kennen viele Laien nicht: Apfelkerne haben eine genetisch eingebaute Keimsperre, die in der Natur verhindert, dass ein im Januar treibender Kern durch Frost wieder eingeht. Erst mit einer mehrere Wochen dauernden, feuchten und kalten Lagerung (Stratifikation) im Dezember/Januar lässt sich die Sperre brechen, und der Apfelkern keimt.

Nach der Anzuchtphase von einem bis anderthalb Jahren schneidet Klock von jedem Schössling ein Reis mit zwei bis drei Knospen ab und veredelt es auf einer "Unterlage", einem Wirtsbaum: Es wird in einen Einschnitt in dessen Rinde gesteckt und mit einer Folie befestigt, die sich irgendwann selbst auflöst. Reis und Unterlage werden im Dezember oder Januar miteinander verbunden, wenn sie noch in der Winterruhe sind. Das Reis wächst fest an und entwickelt Blüten und Früchte.

Diese "vegetative" Vermehrung auf Unterlagen erlaubt es, Tausende Reiser einer Kreuzung zu testen. Dabei sammeln die Züchter von jedem Bäumchen Daten über das Wachstum, den Ertrag, das Aussehen, die Qualität der Früchte, die Lagereigenschaften und die Anfälligkeit für Krankheiten. Die neuen Kreuzungen werden verglichen, weiter entwickelt oder verworfen - und die besten irgendwann beim Bundessortenamt zur Lizenzierung angemeldet. Auf manchen Plantagen im Alten Land kann man solche lizenzierten Sorten sehen, auf deren Kennzeichenschilder die Namen stehen.

Und wann kommt er nun, der norddeutsche Apfel von morgen? Ulrich Buchterkirch von der ZIN kann sich vorstellen, "dass wir 2016 eine neue Sorte auf den Weg bringen, die 2018 auf dem Markt wäre". Dann hätte es 16 Jahre gedauert, eine neue Altländer Apfelzüchtung zu kreieren. So viel Zeit ist nötig: "Wir wollen gar keine Sortenflut", sagt der ZIN-Sprecher, der selbst Obstbauer ist.

"Aber Züchtung ist auch Lotterie. Wir haben viele vielversprechende Nummern - und dann kann doch wieder eine Ernüchterung kommen." Mal spielt das Klima nicht mit, mal fallen Schädlinge oder Obstbaumkrankheiten ein. Äpfel kommen eben nicht aus der Maschine.