Sechs Seiten Formulare und Einkommensnachweis: Klagen über Anmeldeverfahren für Ganztagsangebote. Rabe verlängert Preisgarantie.

Hamburg. Nadja Castagnier ist die Erste. Mit einem dicken Packen Formulare und diversen Gehaltsbescheinigungen steht die Mutter eines Erstklässlers um 7.30 Uhr vor Sven Borcherding. Seit Anfang der Woche bietet der Elternratsvorsitzende der Schule Appelhoff jeden Morgen eine Sprechstunde zur neuen Gebührenordnung für die Ganztagsangebote an. "Viele Eltern sind mit dem Ausfüllen der Anträge überfordert", sagt der gelernte Steuerberater aus Steilshoop.

Nadja Castagnier braucht Ferienbetreuung für ihren Sohn, acht Wochen im Jahr will sie buchen. Aber schon beim Begriff "Sockelferienwoche" stolperte sie das erste Mal. Bei der Berechnung des Familieneinkommens, Grundlage für die Gebühren, gab sie auf. "Das Beamtendeutsch ist nicht meine Sache", sagt sie.

+++ Die neuen Gebühren +++

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Allein bei Borcherding suchten gestern zehn Mütter und Väter Rat. "Im Prinzip ist es toll, dass es eine Sozialstaffel gibt", sagt der Elternvertreter. Aber die Anträge seien zu kompliziert und die Frist zu kurz. Um das sogenannte durchschnittliche Familienmonatseinkommen zu ermitteln, muss man als Arbeitnehmer 16 Positionen ausfüllen. Dazu gibt es sechs DIN-A4-Seiten Erklärung. Außerdem müssen Einkommensnachweise vorgelegt werden. "Das ist wie eine kleine Steuererklärung", sagt Borcherding. "Ich befürchte, dass gerade die Familien, die die zusätzliche Betreuung bräuchten, es gar nicht beantragen." Außerdem kritisiert er, dass Selbstständige und Arbeitnehmer bei der Berechnung des Familieneinkommens unterschiedlich behandelt werden. Aus seiner Sicht ist das sogar verfassungswidrig.

Tatsächlich ist die Verunsicherung bei vielen Eltern derzeit groß. Noch bis Mitte nächster Woche läuft die Anmeldefrist für die Ganztagsangebote. Die Schulbehörde rechnet damit, dass mehr als 30 000 Schüler sie im Schuljahr 2012/13 in Anspruch nehmen. Im Unterschied zum Kita-Gutscheinsystem läuft die Abwicklung über die Schulen. Mehr oder weniger glatt, wie eine Stichprobe des Abendblatts ergab. "Das Problem ist, dass die Familien jetzt allein gelassen werden", sagt Claudia Wackendorff, Sprecherin des Landeselternausschusses Kindertagesbetreuung. Manche würden auch einfach freiwillig den Höchstsatz bezahlen. Aber es melden sich auch verzweifelte Eltern. "Es kann nicht sein, dass Schulsekretärinnen und Eltern die Beratung übernehmen. Die Schulbehörde muss das machen", fordert Wackendorff.

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Es ruckelt noch ordentlich bei der Umstellung. Bereits gestern wurden zudem datenschutzrechtliche Bedenken laut (das Abendblatt berichtete). Dabei geht es um die Abrechnung des Schulmittagessens durch die Catering-Firmen. Die Elternkammer kritisiert, dass durch die Weitergabe der Gebühren indirekt Einkommensdaten von Familien an private Unternehmen weitergegeben würden. Derzeit prüft der Hamburger Datenschutzbeauftragte den Sachverhalt. "Die Pläne des Senats werden ,gläserne Eltern' produzieren", sagte auch der datenschutzpolitische Sprecher der Grünen, Farid Müller.

Die Schulbehörde bemühte sich erneut, die Bedenken zu entkräften. In den Firmen sei die Berechnungsgrundlage für die Einstufung der Kinder nicht bekannt, sagt Senator Ties Rabe (SPD). "Jede Kindertagesstätte ist viel genauer darüber informiert, wie hoch das Familieneinkommen ist." Da werde mit zweierlei Maß gemessen. Man müsse jetzt daran arbeiten, die künftige Entlastung von Eltern nicht durch neue bürokratische Hürden zu verhindern.

In einem anderen Punkt sorgte die Schulbehörde gestern für eine überraschende Klarstellung. Dabei geht es um Rabes Versprechen, dass bei gleicher Leistung niemand mehr für die Ganztagsbetreuung zahlen müsse als vorher. Vorgesehen ist folgenes Verfahren: Die Eltern müssen den - möglicherweise - höheren Monatsbeitrag bezahlen, bekommen dann aber gegen Vorlage des bisherigen Hortgutscheins die Differenz erstattet. Anders als zunächst geplant soll das nicht nur für ein Jahr gelten. "Sondern voraussichtlich bis 2015", so Rabe gestern. Eine unbefristete Garantie wäre rechtlich nicht haltbar.

Für Nadja Castagnier spielt das keine Rolle. Es ist ihr erster Antrag. Trotzdem musste sie gestern unverrichteter Dinge wieder gehen. Ein Einkommensnachweis fehlte. "Toll finde ich es nicht, dass ich das in der Schule offenlegen muss." Elternvertreter Borcherding überlegt inzwischen, seine Sprechstunde fortzusetzen. Bislang liegen erst Anträge für 70 der 285 Schüler vor.