Dr. Gerhard Strate, 61, ist renommierter Hamburger Strafverteidiger

Hamburger Abendblatt:

1. Dominique Strauss-Kahn, zurückgetretener IWF-Chef, soll eine Hotelangestellte vergewaltigt haben. Obgleich er nur verdächtigt ist, wurde er wie ein Schwerverbrecher in Handschellen zum Richter geführt. Der "Perp Walk" (eigentlich "Perpetrator Walk", "Gang des Täters") erinnert an einen Spießrutenlauf. Wieso lässt die US-Justiz das zu?

Gerhard Strate:

In den USA hat dieser "Perp Walk", der von der Öffentlichkeit begleitete Gang zum Haftrichter, eine lange Tradition. Die Amerikaner sind zu einem guten Teil sogar stolz darauf, da sie alle über den "Perp Walk" müssen: die Nobodys unter den Straftätern genauso wie die Prominenten.

2. Folgt dem wenigstens ein faires Verfahren?

Strate:

So rücksichtslos dies anmuten mag - der amerikanische Strafprozess hat auch faire Seiten, die in diesem Stadium aber noch nicht zum Zuge kommen. Tatsächlich bedeutet der Perp Walk für jene, die das entwürdigende Prozedere über sich ergehen lassen müssen, eine Vorverurteilung.

3. Beeinflussen die Bilder womöglich auch die Laienrichter der Grand Jury?

Strate:

Strauss-Kahn ist, unabhängig davon wie der Prozess ausgeht, öffentlich demontiert und in seinem Ansehen irreparabel beschädigt. Ob und wie die Bilder auch die Laienrichter beeinflussen, darüber lässt sich nur spekulieren. Allerdings sind die Effekte dieser medialen Inszenierung, gerade in einem Fall dieser Größenordnung, nicht zu unterschätzen.

4. Sind denn in Deutschland die Persönlichkeitsrechte in vergleichbaren Fällen geschützt?

Strate:

Na ja, wenn die Medien in Deutschland über Verdächtige berichten, sind daran sehr strenge Bedingungen geknüpft. Auf keinen Fall darf dabei der Eindruck der Vorverurteilung entstehen, zudem muss der Verdächtige auch die Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Solche Szenen wie in New York sind hierzulande im Grundsatz undenkbar: eine derartige Bloßstellung in einem so frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens. Dennoch hat es so etwas auch bei uns in Deutschland schon gegeben. Man denke nur an den Fall Kachelmann, insbesondere die Szene, als er - gut ausgeleuchtet und gefilmt - in den Mannschaftswagen einstieg. Wobei man sich hierbei natürlich fragen muss, warum der damalige Verteidiger das Filmen dieser Szene zugelassen hat. Er hätte dies ohne Weiteres verhindern können.

5. Wie stehen die Chancen für Strauss-Kahn?

Strate:

So ein Prozess ist wie ein Kartenspiel. Sind die ausgegebenen Karten schlecht, also die Beweise erdrückend, kann auch der beste Verteidiger kaum etwas ausrichten.