Abendblatt-Redakteurin Silvia Stammer hofft, dass ihre Mutter Margarete, die weit weg von Hamburg lebt, den heutigen Muttertag genießt.

Liebe Mama, an diesem Sonntag ist es wieder so weit. Es ist Muttertag - und wir gehen nicht hin. "Bloß keine Blumen oder sonstigen Geschenke", war dein Credo schon in den Siebziger- und Achtzigerjahren. In einer Zeit, als sonst in bürgerlichen Kreisen durchaus gewünscht war, mit kleinen Aufmerksamkeiten der ewig werkelnden Hausfrau eine Pause zu gönnen. Aber nur eine kurze. Inzwischen ist es längst angesagt, eine Antipathie gegen dieses Datum - zur Erinnerung: 1914 in Amerika eingeführt, 1923 in Deutschland übernommen - vor sich herzutragen. Heute wäre es wohl schon wieder fortschrittlich, eine Lanze für den Muttertag zu brechen und klassisch zu Kaffee und Kuchen zu laden.

Ein spannendes Thema, über das wir dringend mal sprechen sollten. Doch leider geht das meist nur am Telefon. Wie die Mütter von vielen Bekannten und Freunden, die wie ich weder geborene noch gebürtige Hamburger sind, wohnst du viele Hundert Kilometer entfernt. Ein Umstand, den ich in vielerlei Hinsicht bedaure. Weil ich dich manchmal ganz spontan um Rat fragen möchte. Weil ich dir gerne noch mehr von der Stadt zeigen würde, die mein Zuhause geworden ist. Und - ehrlich gesagt - weil du mir besonders fehlst, seit ich selbst hier in Hamburg Familie habe und Mutter bin.

Mal heimlich, mal offen beneide ich Freundinnen, die auch die Hochleistung am Familien-Reck turnen - Job, Haushalt, Kind/er -, aber ihre mehr oder weniger bucklige Verwandtschaft in der Nähe haben. Die Oma als Leutnant der Reserve: allzeit bereit, in maximal 30 Minuten Fahrzeit ans Bett des spontan zur Unzeit erkrankten Enkels zu eilen. Das schweißt Generationen zusammen, die zusammengehören. Und die arbeitende Rabenmutter kann beruhigt an die Kostenstelle eilen.

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Ich weiß, dass du selbst öfter gerne da wärst und uns besuchen würdest. Aber die weite Reise von Bayern nach Hamburg ist anstrengend. Und natürlich bleibe ich (oder dein Schwiegersohn) auch selbst zu Hause, wenn mein Sohn, dein Enkel, krank ist. Oder ich kann die Betreuung organisieren. Dabei stellt sich die Frage: Warum gibt es eigentlich keinen Tages-Muttertag? Ohne die geduldige, liebevolle Unterstützung von Tagesmüttern - 1647 gibt es offiziell in Hamburg - sähe es mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in vielen Unternehmen so aus wie das diesjährige Kirschblütenfest. Kein Feuerwerk, nirgends.

Du stammst aus einer anderen Generation, hast in der Zeit, als deine beiden Töchter klein waren, nicht gearbeitet. Dafür, dass du später wieder in deinen Beruf eingestiegen bist und ihn bis vor Kurzem mit einer unglaublichen Energie und Kompetenz ausgeübt hast, bewundere ich dich. Und dafür, dass du dich so für Kunst interessierst und dich für deine kleine Heimatstadt Passau politisch engagierst. Vielleicht habe ich dir das schon mal gesagt. Sicher bin ich nicht. Je nachdem, in welchem Moment mich zwischen Einkaufstüten-Gewichtheben und Waschmaschinen-Dauerbetrieb der Gedanke durchzuckte: Achtung, du musst dringend mal wieder daheim anrufen!

Mütter mussten und müssen viel leisten. Manchmal mehr, als ihre Kräfte vermögen. Vor allem wenn sie selbst alles wuppen müssen, wie die 50 000 alleinerziehenden Mütter in Hamburg - und Väter. Aber um Letztere geht es jetzt nicht, die Väter haben ihren eigenen Gedenk-Tag, den sie selbstbewusst mit Bollerwagen und Bier an der Elbe feiern.

Du wirst morgen hoffentlich entspannt in der Sonne sitzen oder auf der Couch, deine Katze schnurrend daneben. Muttertag - da wünscht sich jede Mutter eigentlich nur Tiefenentspannung. Den zweiten Sonntag im Mai zu zelebrieren, ist bei vielen out - in Zeiten, in denen das Muttersein in der Großstadt gerne zusammen mit der neuesten Prada-Tasche vor sich hergetragen wird. In denen superschicke Tante-Emma-Läden "Mutterland" heißen. Es sind aber auch die Zeiten, in denen viele Mütter überfordert mit ihrem Nachwuchs sind.

Was mich umtreibt: Wir sind beide erwachsen, doch für dich bleibe ich immer Kind. Die Frage, die immer drängender wird: Wann beginnt die Phase, in der das Kind für die Mutter sorgen muss? Unbeschwert ist Muttertag nur, solange aus Grundschule und Kita Handgemaltes mitgebracht wird (laubgesägte, rot lackierte Herzen sind was Schönes!). Doch je älter du wirst, desto öfter fallen in unseren Gesprächen Begriffe wie "Pflegeversicherung" oder "Patientenverfügung". Hut ab, wie sachlich du darüber sprichst. Falsches Pathos war nie dein Ding. Da bin ich dir ähnlich. Auch dafür: danke.

PS: Die Erfinderin des amerikanischen Mother's Day kämpfte später für seine Abschaffung. Erfolglos.