Dr. Bernhard Pörksen, 42, ist Professor für Medienwissenschaft an der Uni Tübingen

Hamburger Abendblatt:

1. Gefälschte Fotos vom getöteten Osama Bin Laden gingen um die Welt. Welche Macht haben solche Bilder?

Prof. Dr. Bernhard Pörksen:

Die sich rasend schnell verbreitenden Fotos besaßen in einer Situation des visuellen Vakuums und einer unklaren Nachrichtenlage eine maximale Macht: Es waren genau die Beweise, auf die man gewartet hatte - die sich dann aber als gefälscht erwiesen. Hier gilt das Prinzip: Je präziser die Informationen wurden, desto irrelevanter wurden die Bilder.

2. Braucht die Welt die Fotos als sicheren Beweis für seinen Tod?

Pörksen:

Sie sind nicht nötig, denn Beweiskraft erzeugt man auf andere Weise. An die Stelle des leicht veränderbaren und damit stets verdächtigen Fotodokuments tritt die Autorität und die Glaubwürdigkeit der Quelle, hier: das Weiße Haus.

3. Sollten die Amerikaner Fotos vom getöteten Bin Laden zeigen, um Zweifler zu überzeugen?

Pörksen:

Nein. Es sind vor allem hasserfüllte Verschwörungstheoretiker, die seinen Tod bezweifeln. Die verführerische Kraft einer Verschwörungstheorie besteht darin, dass sie gegen Widerlegung immun ist: Der Verdacht reicht als Schuldbeweis. Man kann geübte Konspirationstheoretiker nicht durch Gegenbeweise beeindrucken, weil sie diese noch als Indiz für die bösartige Raffinesse der Verschwörer deuten.

4. Welche Gründe könnten den US-Präsidenten von einer Veröffentlichung abhalten?

Pörksen:

Der US-Präsident muss verhindern, dass sich die Leichenfotos in effektive Propagandainstrumente verwandeln, die Rachegelüste zusätzlich aufputschen. Überdies: Jede Anmutung eines Trophäenbildes, das auch nur entfernt an die erschütternden Bilder von den sogenannten Kill-Team-Morden in Afghanistan erinnert, gilt es unbedingt zu vermeiden. Die Demütigung von Gegnern, mit denen man morgen wieder verhandeln muss, wäre fatal.

5. Lassen sich im Zeitalter von Internet und ausgefeilter Kopiertechnik überhaupt Originalfotos von Fälschungen unterscheiden?

Pörksen:

Der Glaube an die Beweiskraft des einzelnen Fotos ist im Zeitalter der Digitalisierung naiv. Was digital vorliegt, lässt sich beliebig verändern, spurlos fälschen. Das Beweisfoto funktioniert streng genommen nur noch, wenn man sehr präzise zeigen kann, wer es wann und unter welchen Bedingungen aufgenommen hat.