Aber in einer Ordnung menschlicher Gerechtigkeit kann Tötung eine unausweichliche Notwendigkeit sein, gibt der Weihbischof zu bedenken

Wir haben wieder ein Thema. Osama Bin Laden ist tot. Die Nachricht trifft uns am frühen Morgen, wir reiben uns die Augen, und mit uns merkt die ganze Welt auf. Was ist wirklich geschehen, was wird jetzt passieren? Es gibt Erleichterung bis hin zum Jubel. Menschen äußern ihre Genugtuung: Die böse Wunde am Ort der Twintower, die Schreckensbilder von London, Madrid und all den anderen Orten - sie werden nicht gelöscht, aber stehen doch in einem neuen Licht. Aber wir erleben auch ein verhaltenes Schweigen, das nichts Gutes erwarten lässt. Das Thema talkt sich durch die Medien. Alle haben etwas Kluges zu sagen.

Misstrauisch machen mich Reaktionen von Persönlichkeiten aus der Politik, aus der Pistole geschossen und fast immer auf ihrer jeweiligen Linie. Da ist es ein gefundenes Fressen, wenn sich eine Persönlichkeit der Opposition über einen schnellen Satz der Kanzlerin - sie hatte das Wort von der Freude gebraucht - empören und ihr vorwerfen kann, sie erkläre so ein Leben für weniger wertvoll.

Schnell wacht auch wieder eine antiamerikanische Grundstimmung so mancher Deutschen auf: Warum müssen denn die Amerikaner so dreinschlagen? Sollen wir uns nicht besser raushalten?

Als Mann der Kirche sage ich mit aller Deutlichkeit: Freude über den Tod eines Menschen ist nie angebracht, auch nicht bei Osama Bin Laden. Der Tod bleibt das harte Ende eines Menschenlebens. Er fährt dazwischen. Er stoppt ein Leben, das für immer seinen Wert behält, mag ein Mensch auch noch so Schlimmes anrichten, mag er sich selber die schlimmste Schande machen, mag er von seinem eigenen Leben noch so wenig halten.

Wir Menschen sind nicht die Herren über Leben und Tod. Das Leben bleibt heilig, unserer eigenen Verfügung entzogen. Der gläubige Mensch sieht in Gott den Herrn eines jeden Menschenlebens. Wir haben es aus seiner Hand. Er muss es zurücknehmen. So führt uns der Tod immer an eine harte Grenze: der Tod der Unschuldigen wie der Schuldigen, der eigene Tod wie der Tod der anderen.

Das Leben muss heilig sein. Und seit es Menschen gibt, erfahren sie, wie das Leben geschändet, aufs Spiel gesetzt, zerstört wird.

Und es gibt die Notlagen, in denen Menschen auch nach Recht und menschlicher Ordnung über den Tod eines Menschen verfügen müssen: die Situation der Notwehr, die Todesstrafe als die schlimmste menschliche Strafe, um die anderen zu schützen.

Menschen dürfen sich nicht zu Herren über Leben und Tod aufspielen. Mit Abscheu sehen wir Menschen mordende Schlächter zu allen Zeiten und an so vielen Orten, die zu stoppen unsere Ehre und heilige Pflicht sein muss. Aber in einer Ordnung menschlicher Gerechtigkeit kann die Tötung, kann ein Todesurteil eine unausweichliche Notwendigkeit sein.

Die Todesstrafe, so hat es die große Mehrheit der Christenheit heute gelernt, muss abgelehnt und überwunden werden. Aber der Ernstfall einer notwendigen Tötung wird sich nicht auflösen lassen. Freude darüber? Rache, Genugtuung über solche Strafen? Nein! Es bleibt die Trauer um das einzelne Menschenleben, auch der Schrecken darüber, dass wir unsere menschlichen Grenzen übertreten.

Ich kann mich nicht über die komplexen rechtlichen Fragen des Einsatzes in Abbottabad auslassen. Osama Bin Laden ist jetzt selbst das Opfer von Terror und Gewalt geworden, die er über ungezählte Unschuldige gebracht hat. Wahn und Verblendung haben ihn dazu geführt, im Namen Gottes Menschen zu morden. Andere hat er mitgerissen, Mittäter, Nachfolger gefunden. Ohne jede Bindung an Recht und Gerechtigkeit spielen sie die Quasi-Götter über das Leben und Sterben der Opfer. Die Anführer schwimmen im Leben unserer modernen Welt. Die Selbstmordattentäter lassen sich mit wahnhaften religiösen Versprechungen trösten.

Die Trauer über den Tod, der Schrecken über das Sterben, der Opfer wie der verblendeten Täter, ruft alle Besonnenen und Vernünftigen zur Besinnung: Muslime, Christen, Menschen guten Willens.

Ich habe für Osama Bin Laden gebetet, bete für ihn und die Opfer. Ich rufe besonders die religiösen Menschen auf: Geben wir Gott die Ehre, Terror und Gewalt in seinem Namen müssen endlich ein Ende haben.