Dr. Gerd Hallenberger, 57, ist Medienwissenschaftler in Marburg

1. Hamburger Abendblatt:

Rekord für den "Tatort" Sonntagabend. 11,79 Millionen Zuschauer verfolgten den Krimi mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers. Was macht die Ermittler aus Münster so erfolgreich?

Gerd Hallenberger:

Das Besondere an den Münsteranern ist ihre idealtypische Kombination von Krimi und Komödie. Das gilt auch für die Figurenkonstellation insgesamt. Prahl/Liefers funktionieren als Duo perfekt. Die Seitenfiguren wie "Alberich", der Vater von Thiel oder die Staatsanwältin sind exzellente und wunderbar ausgearbeitete Figuren mit einer eigenen Geschichte.

2. Wie wichtig ist Humor in einer Kriminalgeschichte?

Hallenberger:

Humor ist ein weiterer Zugang zu der Geschichte und bietet Abwechslung zwischen Spannung und Entlastung. Mischformen zwischen Krimi und Komödie haben sich deshalb als zentrale Angebotsform etabliert. Ein schönes Beispiel dafür ist "Der letzte Bulle" bei Sat.1.

3. Hätte dieser Fall um verschobene Millionen auch in einer anderen "Tatort"-Stadt spielen können? Oder ist der Fall ohnehin nebensächlich?

Hallenberger:

In der Tat ist der reine Kriminalfall bei den Münsteranern ein bisschen sekundär. Eine schöne Pointe ist doch Thiels Vater mit seinen eigenwilligen post-hippiemäßigen Hobbys, der in diesem aktuellen Fall ja entscheidend zur Aufklärung des Verbrechens beigetragen hat, weil er zufällig die Scheinfirma Bulgaria Harvest vor Ort enttarnen konnte.

4. Was macht der "Tatort" anders als der "Polizeiruf 110"? Die Quoten vom "Polizeiruf" sind nie so berauschend.

Hallenberger:

Hier kommt ein wesentlicher Faktor ins Rennen: In Westdeutschland ist der "Tatort" die ältere Marke. Die erfolgreichsten "Tatort"-Ermittler sind diejenigen, die schon besonders lang dabei sind, ich erinnere an Ulrike Folkerts alias Lena Odenthal in Ludwigshafen oder die Münchner Miroslaw Nemec und Udo Wachtveitl als Batic und Leitmayr. In jeder neuen Folge erfährt man mehr, wie die Kommissare so drauf sind, man versteht Anspielungen wie die auf das St.-Pauli-Shirt von Thiel. Das Phänomen ist bekannt als "kulturelles Kapital", das sich mit jeder Folge verzinst.

5. Ist der "Tatort" das neue TV-Lagerfeuer, an dem sich Gene-rationen wärmen wie früher bei Gottschalks "Wetten, dass ..?"

Hallenberger:

Wenn man sich die Zahlen vom vergangenen Wochenende anschaut, auf jeden Fall. "Deutschland sucht den Superstar" hat überwiegend jugendliche Zuschauer, das "Traumschiff" ist vor allem bei Älteren beliebt, der "Tatort" aber ist für ganz unterschiedliche Zielgruppen interessant.