Bei der WM 1966 imponierte die HSV-Legende - und verlor am Ende das Finale im Wembley-Stadion. Als Prämie gab es einen Teppich.

Er erzählt die Geschichte mit einem spitzbübischen Lächeln. Als 1965 der Wechsel von Willi Schulz zum HSV bekannt wurde, reagierten die Schalker Fans erbost. Am Marktplatz boykottierten sie die Gaststätte Schulz, indem sie ihr Bier demonstrativ in der Trinkhalle nebenan kauften und damit vor dem Restaurant standen. "Wat die nicht wussten", sagt Schulz, "mir gehörte die Trinkhalle auch ..."

Der 71-Jährige war eben schon immer ein cleverer Bursche. So ähnlich, wie sich der gebürtige Wattenscheider in Gelsenkirchen statt eines Handgelds das Grundstück am Schalker Markt sicherte, verfuhr Schulz auch mit dem HSV. Bedingung für einen Umzug nach Hamburg war eine berufliche Perspektive, die ihm der Klub schließlich auch mit der Vermittlung einer Generalvertretung einer Versicherung verschaffte.

Schön sagte: Willi, die anderen müssen uns erst mal alle schlagen

Ein Jahr später saß Schulz dann auf dem Weg zu seiner zweiten WM im Flugzeug von Hamburg nach London neben dem damaligen Bundestrainer Helmut Schön. Kurz vor der Landung, als sie am Wembley-Stadion vorbeiflogen, sagte Schön einen Satz zu Schulz, der Demut, aber auch das nötige Selbstbewusstsein ausdrückte: "Willi, die müssen uns alle erst mal schlagen." Wie sich herausstellte, schafften es nur die Engländer im Endspiel mit 4:2 in der Verlängerung, wobei das legendäre 3:2 durch Hurst in die Fußballgeschichte einging, weil Linienrichter Tofik Bachramov aus der Sowjetunion mit der Fahne winkend das Tor gab, obwohl der Ball klar vor der Linie aufgekommen war.

Wie aus einem inneren Fotoalbum kann der frühere Abwehrspezialist die Erinnerungen an dieses Turnier abrufen, an die Spiele und die Tage dazwischen. "Wir haben mal eine Rinderzuchtfarm besucht, aber ein großartiges Freizeitprogramm gab es nicht, schließlich dauerte das Turnier insgesamt nur 19 Tage." Zweimal pro Woche stand die Pressekonferenz mit den Offiziellen an, die Spieler wechselten allenfalls nach dem Training ein paar Worte mit den Journalisten.

Die Mannschaft von 1966, sagt Schulz, der ob seiner starken Leistung beim Finale danach in Anlehnung an das WM-Maskottchen "World-Cup-Willi" getauft wurde, sei eine ruhige, bescheidene, und eine große Mannschaft gewesen, nicht nur sportlich, auch charakterlich. "Das zeigte sich schon während der WM-Qualifikation, als wir Geld für Udo Lattek, damals unser Co-Trainer, sammelten, weil er aus Kostengründen nicht zum entscheidenden Rückspiel in Schweden mitfliegen sollte." Der 66er-Jahrgang sei mit Persönlichkeiten gespickt gewesen, von denen bis heute keine gescheitert sei. "Sie werden nie hören, dass jemand von uns schlecht über die Engländer sprechen würde. Was sollten die machen, die konnten das gegebene Tor zum 3:2 ja nicht ablehnen."

Ein guter Verlierer, der weltweit Sympathien gewann

Rückblickend sei auch deshalb nicht das unvergessene Finale im inzwischen abgerissenen Wembley-Stadion sein größter Moment der WM-Endrunde gewesen, sondern das ungeheure Zusammengehörigkeitsgefühl. Kein Wunder, dass sich diese Mannschaft als guter Verlierer zeigte und so weltweit Sympathien erlangte.

"Als wir nach dem Abpfiff in der Kabine saßen, haben einige geweint. Da hat Helmut Schön jedem auf die Schulter geklopft und gesagt: Ein guter Zweiter ist besser als ein schlechter Erster. Damit war alles gesagt, damit bist du dann auch zufrieden. Im Grunde hatten wir das so nicht verdient, aber es ist passiert." Als Vize-Weltmeister bekamen Schulz und seine Kollegen von Bundespräsident Heinrich Lübke das Silberne Lorbeerblatt verliehen. Neben dieser höchsten Ehrung für Sportler erhielten neben einem Teppich von Adidas ("Der liegt noch bei mir im Keller") die Fußballer 15 000 Mark Prämie, die vom damaligen Finanzminister ausbezahlt wurde. "Damals ging so was, aber bei den heutigen Artisten in der Politik wäre das nicht mehr möglich", grinst Schulz.

Was er mit der großen Summe gemacht hat? "Ich hatte kein Bedürfnis, das Geld auszugeben, wir wurden ja auch schon damals gepflegt wie ein rohes Ei, bekamen alles reingeblasen. Ich habe bloß meine Frau Ingrid gefragt, ob wir in die Stadt fahren und ihr was kaufen sollen." Im Übrigen wäre die Zeit knapp gewesen, schließlich begann die Bundesliga nur 21 Tage nach dem Endspiel wieder und die ersten Testspiele mit dem HSV standen an. "Ich habe dann 1966 angefangen, oben in Ochsenzoll mein Haus zu bauen." In dem wohnt er mit seiner Ingrid noch heute.

Und ob ihn die Ereignisse von Wembley geprägt haben? "Ich weiß nicht, ob mich der Sport prägen konnte", entgegnet Schulz. "Geprägt haben mich das Elternhaus und der verlorene Krieg. Ich bin 1938 geboren, war bei Kriegsende sechs Jahre jung. Der Vater kam erst drei Jahre später aus russischer Gefangenschaft, im Ruhrgebiet gab's nichts zu essen, das hat mich gelehrt, genügsam und sparsam zu sein und nicht rumzuspinnen."

Die gegnerischen Spieler ließ Willi Schulz verzweifeln

Mit dieser Disziplin brachte es Schulz als rechter Läufer im defensiven Mittelfeld, als Libero und Stopper auf 66 Länderspiele zwischen 1959 und 1970 und ließ die gegnerischen Kreativspieler mit seinem nicht gerade zimperlichen Stil oft verzweifeln. Sein letztes Spiel im DFB-Dress bestritt Schulz im WM-Halbfinale 1970 in Mexiko beim ebenfalls legendären 3:4 nach Verlängerung gegen Italien. Für viele das "Spiel des Jahrhunderts".

20-mal führte er das DFB-Team als Kapitän aufs Feld. Die Anzahl der Länderspiele ist bemerkenswert, schließlich wurden damals viel weniger offizielle Länderspiele ausgetragen.

Zwei seiner größten Spiele tauchen ebenfalls nicht in den DFB-Büchern auf: 1968 spielte Schulz in Rio de Janeiro mit einer Fifa-Weltauswahl als Kapitän vor 145 000 Zuschauern gegen Brasilien (1:2). Seine Gegenspieler war damals Pelé. "Vor dem Spiel waren wir Freunde, aber nicht während des Spiels", erinnert sich Schulz an die mitunter harten Duelle. 1971 folgte die zweite Partie in der Weltauswahl beim Abschiedsspiel von Lew Jaschin in Moskau. Als Schulz 1973 im Volksparkstadion seine Karriere beendete, spielte erneut eine Weltauswahl (mit Carlos Alberto, Bobby Moore, Bobby Charlton) gegen den HSV.

Das ist fast 37 Jahre her. Die Maximen von damals gelten für Schulz noch heute. Arbeit hält jung. Und: Verbindungen schaden nur denen, die keine haben. Das nach dem Ende seiner aktiven Zeit aufgebaute Spielautomatengeschäft hat er an seine Tochter abgegeben, in der Versicherungsbranche ist er bis heute aktiv: "Hamburg ist eine tolle Stadt, ich glaube, meine Frau und ich haben im Leben keine großen Fehler gemacht."