Der ehemalige HSV-Star und heutige Schalke-Trainer zum Auftakt der Abendblatt-WM-Serie über die Fußball-Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko.

Felix Magath, 56, war mal wieder zu schnell. Nun kennt auch die Blitzampel an der Kollaustraße, direkt am Trainingsgelände des FC St. Pauli, sein Konterfei. Das haben sie beim Italiener am Eppendorfer Weg eine Ewigkeit nicht gesehen. "Wie lange warst du nicht hier, mit deiner Frau, den Kindern? Zehn, zwölf Jahre, bestimmt", sagt Riccardo Gonzo, der Wirt. Er strahlt. "Felice, du musst zum HSV zurückkommen. Die brauchen dich, dringender denn je."

Magath zieht es immer wieder in die Stadt, die seinen Ruhm als Fußballer begründete. Seit zwei Jahren sucht er für seine Familie ein Haus. Seine Frau Nicola will zurück nach Hamburg, ihrer Heimatstadt. "Wir haben bisher nichts Passendes gefunden", sagt Magath. Gonzo hat seine Fotokamera aus dem Tresen gekramt. Er strahlt immer noch. Magath lächelt, schreibt Autogramme. Er bestellt Fisch und Gemüse. Magath achtet auf gesunde Ernährung.

Das war einmal anders. Als Magath 1976 aus Saarbrücken zum HSV wechselt, gehört das Wort Disziplin nicht zu seinem Wortschatz. Er raucht, zieht abends schon mal los. Das ändert sich, als Branko Zebec 1978 den HSV übernimmt. Der Jugoslawe lässt laufen, manchmal bis zum Erbrechen. Magath kotzt verbal über den Trainer ab, nennt ihn einen Schleifer. Mit Zebec wird der HSV 1979 das erste Mal in der Bundesliga Meister. Magath hat neben Kevin Keegan den größten Anteil daran. Er pendelt unermüdlich zwischen den Strafräumen, hat selbst in den letzten Minuten Luft für lange Sprints.

An seine Tore kann er sich kaum noch erinnern - nur an das 1:0 gegen Turin

Später spricht der Trainer Magath von Zebec als einem seiner Lehrmeister. Der andere ist Ernst Happel. Mit dem wird der HSV 1983 Europapokalsieger der Landesmeister. Magath schießt im Finale das 1:0-Siegtor gegen Juventus Turin. Das sei einer der wenigen Treffer, an die er sich erinnere, "aber nur, weil ich dieses Tor unzählige Male im Fernsehen gesehen habe". Er sei auf dem Platz immer hoch konzentriert gewesen, fokussiert auf Räume, Abspielmöglichkeiten, Ball und Gegner, "und wenn hinterher die Anspannung abfiel, hatte ich das meiste vergessen, was im Spiel geschehen ist".

Das Gespräch über die WM 1986 in Mexiko entwickelt sich schwerfällig. Franz Beckenbauer ist Bundestrainer, der mangels Trainerschein Teamchef heißt. 1984 hat er nach dem Vorrundenaus bei der Europameisterschaft in Frankreich Jupp Derwall beerbt. Beckenbauer spürt den Erfolgsdruck. Er nörgelt ständig, ihm fehlten die guten Fußballer. Magath ist einer der wenigen. Dessen Qualitäten hat Beckenbauer in seinen anderthalb Jahren als Spieler des HSV 1981 und 1982 schätzen gelernt. Der sei technisch besser als er, sagt Beckenbauer, der verstehe das Spiel. Nicht alle sind davon überzeugt. In der Nationalmannschaft hat Magath selten brilliert. Anders als beim HSV hat er nie das Vertrauen seiner Mitspieler gespürt. Beckenbauer vertraut ihm, gegen Widerstände in den Medien und beim Deutschen Fußball-Bund. Magath dankt es ihm mit einer starken WM.

"Die Stimmung im Umfeld war 1986 wie 1982 nicht positiv", klagt Magath, "wir hätten unattraktiven Fußball gespielt, viel zu defensiv. Aber wer setzt diese Maßstäbe? Beim Fußball geht es um Erfolg. Den hatten wir."

Teamchef Beckenbauer redet ständig die Mannschaft schlecht

Deutschland wird wie 1982 Vizeweltmeister. Die Vorstopper Ditmar Jakobs vom HSV und Norbert Eder vom FC Bayern halten als doppelter Libero die Abwehr zusammen. Grobmotorik statt Feinkost. Beckenbauer setzt auf Sicherheit. Er ist unsicher, hat Angst vorm Versagen. Ständig redet er seine Mannschaft schlecht. Die Souveränität, die ihn vier Jahre später beim Titelgewinn 1990 in Italien auszeichnen wird, fehlt ihm. In Mexiko lernt er noch. In der Mannschaft gibt es wie 1982 zwei Gruppen. Hier die Bayern, dort der Rest. Magath muss vermitteln, zwischen Münchens Stürmer Karl-Heinz Rummenigge und Kölns Torhüter Harald "Toni" Schumacher. Rummenigge ist das gesamte Turnier über nicht fit, die Folgen eines Muskelfaserrisses.

Die deutsche Mannschaft spielt eine mäßige Vorrunde, steigert sich vom Achtelfinale an. Im Halbfinale gegen Europameister Frankreich gelingt das beste Spiel. Magath bereitet in der 90. Minute den 2:0-Endstand vor, spielt Michel Platini den Ball durch die Beine. Rudi Völler schießt das Tor.

Finale gegen Argentinien. Zwölf Uhr mittags in Mexiko City, 2310 Meter Höhe. Es ist das letzte Spiel in der Fußballkarriere des Felix Magath. Schumacher greift nach einem Eckball daneben, Jose Brown köpft in der 21. Minute das 1:0. Jorge Valdano erhöht in der 55. Minute auf 2:0. Sechs Minuten später holt Beckenbauer Magath vom Platz. Dieter Hoeneß kommt. Magath redet danach monatelang nicht mit Beckenbauer. "Diese Auswechslung hatte ich in diesem Turnier nicht verdient", sagt er.

Zwei Tage nach dem WM-Finale tritt Magath seinen Job als HSV-Manager an

Das Finale ist Magaths schwächstes Spiel in Mexiko. Er kann dem Team kaum Impulse geben. Er ist die einzige kreative Kraft im Mittelfeld. Lothar Matthäus fällt als Unterstützung diesmal aus. Beckenbauer stellt ihn zur Bewachung Diego Maradonas ab. Ein taktischer Fehler, meint Magath. Im Halbfinale hat Wolfgang Rolff Frankreichs Spielmacher Platini ausgeschaltet. Der Hamburger sitzt im Endspiel auf der Bank. Rummenigge und Völler gelingt das 2:2, ehe Maradona sechs Minuten vor Schluss Jorge Burruchaga steil schickt. 3:2. Argentinien ist Weltmeister. "Wir haben uns nach dem 2:2 dämlich angestellt", sagt Magath, "die Argentinier japsten nach Luft, wir hätten nur in die Verlängerung kommen müssen. Dann hätten wir sie geschlagen."

Zwei Tage später sitzt Magath in der Rothenbaumchaussee am Schreibtisch. Er ist jetzt Manager des HSV. Magath ist auf den Job nicht vorbereitet. Zudem fehlt ihm das körperliche Training. Er hat Kreislaufprobleme. "In den ersten Monaten konnte ich mich kaum konzentrieren. Die Worte meines Gegenübers sind an mir vorbeigerauscht. Ich habe fast nichts wahrgenommen", sagt Magath. Damals schwieg er seine Gesprächspartner oft minutenlang an. Im Rückblick sei es ein Fehler gewesen, seine Karriere abrupt zu beenden, "auch wenn ich gesundheitlich nicht in der Lage war, noch eine Saison auf höchstem Niveau zu spielen." Ein, zwei Jahre seien dennoch drin gewesen, "vielleicht in Österreich". Noch ein Dessert, Felix?", fragt Riccardo Gonzo, der Wirt. "Nein", sagt Magath, "das war's,"

Lesen Sie morgen: Willi Schulz, heute 71, darf an einem der größten WM-Momente teilhaben: Es ist der 30. Juli 1966, der Tag des legendären Wembley-Tors. Der Abwehrchef des HSV stand ganz in der Nähe. Der Ball war nicht drin!