Schon wieder hat sich ein Häftling in der Zelle erhängt. Die Frage ist: warum?

Warum haben die Psychologen der Justizbehörde den Mann als nicht selbstmordgefährdet eingestuft, der vor nur sieben Wochen sein Auto absichtlich gegen einen Linienbus lenkte? Der sich und seinen kleinen Sohn töten wollte. Der zu verantworten hat, dass 20 Menschen schwer verletzt wurden und der Busfahrer sein Leben verlor.

Jetzt hat sich Mike S. das Leben genommen. Nachts, im Badezimmer, mit einem Gymnastikband. Niemand hatte es ihm vorher abgenommen.

Warum nicht?

Eine Psychologin hatte Mike S. untersucht, fünfmal und stets länger als üblich. Ihr Urteil: keine akute Suizidgefahr. Die Unfallfahrt vor sieben Wochen - wahrscheinlich eine Tat im Affekt.

Da die Fachleute nicht von einer Gefährdung ausgingen, gab es auch keine Videoüberwachung und keine Unterbringung auf der Sicherungsstation. Die Regeln wollten es so. Eine frappierend einfache Logik - und genau das ist so erschütternd.

Es wäre vermessen, als Laie das Expertenurteil anzweifeln zu wollen. Aber kann jemand nur 35 Tage nach einem Selbstmordversuch nicht mehr als gefährdet gelten? Mike S. abends das Gymnastikband abzunehmen hätte niemandem wehgetan. Es hätte keine Regeln verletzt und wäre so einfach gewesen.

Schon nach den ersten beiden Fällen im März und April gelobte die Justizbehörde Besserung: David M. und Yeni P. hatten sich in Abschiebehaft das Leben genommen. Es folgten eine "kritische Prüfung" der Vorfälle und Absichtsbekundungen. Die Psychologen in der U-Haft sind nun auch am Wochenende im Dienst, sonst blieb alles beim Alten.

Die Justiz handelt grob fahrlässig, wenn sie jetzt nicht ihre Kriterien für Selbstmordgefahr unter Häftlingen überprüft. Andernfalls muss sie sich vielleicht schon bald wieder die Frage stellen lassen: warum?