Mit den Funktionen der Mobiltelefone wird oft Unfug getrieben. Dafür wurden sie nicht angeschafft

Früher gab es noch richtige Affentheater. Wenn Kinder auf Bäume kletterten und sich freuten wie die Schneekönige, wenn die Mutter rief, sie aber nicht entdecken konnte. Heute klingeln Mütter ihre Kletteraffen gnadenlos aus der Baumkrone. Ein Anruf auf dem Handy und vorbei ist das Abenteuer.

Mobiltelefone sind eine Selbstverständlichkeit für fast jedes Kind. Nach Erkenntnissen der Kids Verbraucheranalyse 2009, die sich mit dem Medien- und Konsumverhalten von Sechs- bis 13-Jährigen beschäftigt, besitzen in dieser Altersgruppe 37 Prozent ein Handy. Bei den Sechs- bis Neunjährigen sind es nur 16 Prozent, bei den Zehn- bis 13-Jährigen aber bereits 62 Prozent.

Die Zahlen unterstreichen einen Trend, den man auf Schulhöfen beobachten kann: Kleingruppen, die sich um das neueste Telefon drängen, Spiele, die verglichen werden und die allgegenwärtige Kamera. Auf einer Handy-Zubehör-Messe könnte kaum mehr los sein. Annika Friedrich, Medienpädagogin bei Blickwechsel e. V. in Hamburg, der Kindern Medienkompetenz vermitteln möchte, betont: "Handys sind ein Statussymbol."

Während laut einer Emnid-Studie 90 Prozent der Eltern ihren Kindern ein Mobiltelefon kaufen, um wissen zu können, wo das Kind ist, geht es den Jugendlichen selbst noch nicht einmal ums Telefonieren, sondern vielmehr um die anderen Funktionen, die die Geräte bieten. "Wenn man Kinder fragt, was ihr Handy kann, stehen ganz vorne Videos, Internet und Fernsehen", sagt Friedrich. Es sei entscheidend, dass Eltern bewusst ist, was Handys können. "Es ist sinnvoll, wenn Kinder zum Beispiel das gleiche Modell haben wie ihre Eltern." So könne der Nachwuchs nichts verstecken, weil die Eltern über die Funktionen Bescheid wüssten.

Wie wichtig technisches Verständnis ist, betont auch Henning Fietze. Der Medienpädagoge arbeitet in Hamburg mit der TIDE-Akademie zusammen, mit der in diesem Jahr der "Jugendhandylotse" eingeführt werden soll. Bei diesem Projekt werden Jugendgruppenleiter zu Lotsen ausgebildet, die sich gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen dem Medium "Handy" nähern und das laut Fietze "positive Potenzial" der Mobiltelefone nutzen lernen. Durch Handyfilmwettbewerbe und andere kreative Herangehensweisen sollen Angebote geschaffen werden, "die über den gehobenen Zeigefinger" hinausgehen. "Die Jugendlichen müssen sich selber erarbeiten, was sie sich zumuten können."

Wie elementar wichtig diese Kenntnisse sind, zeigen die Ergebnisse der sogenannten JIM-Studie, die vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest durchgeführt wird und das Mediennutzungsverhalten von Zwölf- bis 19-Jährigen untersucht. 2009 hatten 89 Prozent der Befragten ein Handy mit Kamera, und 79 Prozent der Telefone waren internetfähig. Dass mit diesen Funktionen Unfug getrieben wird, ist in der Erfahrung von Annika Friedrich an der Tagesordnung. Brutale oder erniedrigende Videos und Fotos sind überall im Umlauf. Die Medienpädagogin ist sicher: "Jedes Kind war schon mal in einer der Rollen, sei es als Opfer, Täter oder Mitseher." Diese Tatsache werde oft unterschätzt. Doch Funktionen zu sperren, halten sowohl Friedrich als auch Fietze nur für bedingt sinnvoll. Die Kinder wüssten schnell, wie sie sie wieder aktivieren.

Daher empfehlen die Medienpädagogen, mit den Kindern über die Auswirkungen dieser Videos zu sprechen. Kindern sei Boshaftigkeit ihrer Handlungen oft gar nicht bewusst, sie fänden es witzig. "Erst wenn es sie selber trifft oder wenn sie sehen, dass sie jemanden verletzt haben, erkennen sie die Tragweite", verdeutlicht Friedrich. Dennoch seien Handys nicht generell zu verurteilen. Das Mobiltelefon biete viele Vorteile, wie beispielsweise die Erreichbarkeit. Es sei der Lebensmittelpunkt, da sich Jugendliche darüber mit Freunden verabreden, Profile in Internetnetzwerken und soziale Kontakte pflegen.

Daher ist es laut Annika Friedrich wenig empfehlenswert, das Kind mit einer Handyverweigerung zu quälen, wenn alle in der Klasse ein Mobiltelefon besäßen. Dort muss allerdings Rücksicht genommen werden. Fietze betont: "An manchen Schulen sind Handys verboten. Wenn doch jemand mit einem auftaucht, verteilen die Lehrer Rügen." Das machen sie auf die gute alte Art und Weise von Angesicht zu Angesicht. Also mündlich. Nicht fernmündlich.