Volksrepublik China war erstes Bankrott-Land der Welt. Frankreich war bereits achtmal zahlungsunfähig, genauso oft wie Deutschland.

Hamburg. König Edward III. von England (1312-1377) war ein ehrgeiziger Mann. Ihm ging es um einen Platz in der Geschichte; sein leuchtendes Vorbild war der legendäre König Artus. Mit einem erfolgreichen Krieg gegen Frankreich hoffte Edward unsterblichen Ruhm zu erlangen. Kurzerhand erklärte er sich 1340 zum König von Frankreich und marschierte dort ein. Mit dem Resultat konnte er weder unter militärischen noch historischen Aspekten so richtig zufrieden sein: Der Feldzug floppte, die Finanzen Englands brachen zusammen und Edward gilt seitdem als Urvater der europäischen Staatspleiten.

So manches Element dieses mittelalterlichen Krisenmechanismus kommt uns bedenklich modern vor: Edward hatte sich massenhaft Geld bei Banken und Handelshäusern in Florenz und in Flandern geliehen - die Rede ist von 300 000 Pfund, einer gigantischen Summe für die damalige Zeit -, und dieses Geld war wiederum mit windigen Krediten abgesichert. Am Ende war der König pleite, in England herrschte Inflation, der staatstragende Wollhandel brach ein, die Steuern mussten angehoben werden und in Florenz brachen Banken zusammen - mit gesamteuropäischen Auswirkungen.

Staatspleiten sind in der Geschichte der Welt und des europäischen Kontinents nichts Ungewöhnliches. Historiker schätzen, dass es allein in den vergangenen zwei Jahrhunderten mindestens 90 Staaten so ergangen ist. Übrigens sind auch Spekulationsblasen, für die der gesunde Menschenverstand keine Erklärung mehr zu finden vermag, keine Ausgeburt der Moderne. So fingen die eigentlich vernünftigen Niederländer im 17. Jahrhundert plötzlich an, mit Tulpenzwiebeln zu spekulieren, deren Buchwert rasch ins Aberwitzige stieg - um 1630 wurde ein ganzes Stadthaus in Amsterdam gegen drei kümmerliche Zwiebeln verkauft. Während ein Zimmermann damals 250 Gulden im ganzen Jahr verdiente, stieg der Preis für die Tulpensorte "Semper Augustus" 1637 auf über 10 000 Gulden. Es war die erste Spekulationsblase der Geschichte. Als sie platzte, hat sie zahllose Vermögen vernichtet. Berühmt wurde die Geschichte von dem Seemann, der zum Fischessen eingeladen wurde und eine auf dem Tisch herumliegende Zwiebel als Gemüse aß. Der Gastgeber reagierte unfroh: Die als solche nicht vorgesehene Sättigungsbeilage war seine Kapitalanlage gewesen.

Global betrachtet ist China wohl das erste Pleiteland. Um 1024 kamen findige Beamte zum ersten Mal auf die Idee, Papiergeld zu drucken, nachdem ein kostspieliger Krieg das ganze Metallgeld aufgefressen hatte. Papier gab es ja schon - China hatte es selber erfunden. In der absolutistischen Ming-Dynastie zwischen 1368 und 1644 hatten Herrscher und Betrüger dann gleichermaßen viel Freude an den Banknoten: Beide stellten davon so viele her, wie sie nur konnten. Mit dem Ergebnis, dass das Papiergeld bald nichts mehr wert war und die Inflation wilder davongaloppierte als die kaiserliche Kavallerie. Die Regierung entschloss sich zu einer radikalen Notoperation und schaffte das Papiergeld einfach wieder ab. Als inflationshemmendes Instrumentarium hat sich die Abschaffung des Geldes allerdings nicht durchsetzen können. Heutzutage laufen Anleger das Risiko, vom Finanzmarkt nach dem Prinzip der Champignon-Zucht behandelt zu werden: Man hält sie im Dunkeln und deckt sie mit viel Mist zu. Erst folgt eine Gewinnwarnung - die vor allem warnt, nur nicht vor Gewinn. Und am Ende ist das Geld weg.

In Frankreich konnte früher auch noch der Kopf weg sein. Zwischen 1500 und 1800 war der Staat achtmal pleite. Hin und wieder ließen die Herrscher besonders hartnäckige Gläubiger vorbeugend exekutieren, was den Eifer der Überlebenden, ihre Forderungen einzutreiben, deutlich dämpfte.

Eine Dauerlösung war das indes auch nicht. 1769 übernahm der Priester Joseph Marie Terray als Finanzminister von Ludwig XV. die schwere Aufgabe, die vom 14. Ludwig gründlich zerrütteten Staatsfinanzen zu sanieren. Der Sonnenkönig hatte zu seinem eigenen Ruhm so lange erfolglos Krieg geführt und erfolgreich Schlösser gebaut, bis das Geld weg war. "Unbezahlbar", hatte der listige Terray zweideutig auf die Frage des Königs geantwortet, wie er Versailles und die prunkvollen Feste des Monarchen eigentlich so fände.

Als Minister wies der Abbe Terray kurzerhand die heftigsten Forderungen der Gläubiger ab, erhöhte die Steuern und sprach sich gegen einen kostspieligen Krieg mit England aus. Er war damit so erfolgreich, dass ihn der nächste König, Ludwig XVI., gleich nach Amtsantritt aus Eifersucht entließ. Terray hinterließ der Welt die weise Erkenntnis, dass die ewige Dauer des Staates es erforderlich mache, alle 100 Jahre den Staatsbankrott zu erklären, um seine Schulden loszuwerden. Frankreich hielt sich später aber nicht mehr daran und erlitt bis heute keinen Bankrott mehr.

Auch für Griechenland als Teil der Europäischen Union wäre Terrays Rat wohl keine zukunftssichernde Lösung und hieße, Beulen nach Athen zu tragen. Denn die zähneknirschenden EU-Partner wollen schließlich irgendwann ihr Geld wiedersehen.

Frankreichs Nachbar Spanien war in den vergangenen 200 Jahren gleich 13-mal nicht in der Lage, seine Staatsschulden zu bedienen, allein siebenmal im 19. Jahrhundert. Fast ein Viertel der Zeit seit 1800 hat Spanien in der Umschuldung verbracht. Mit nahezu einer Viertelbillion Euro steht das beliebte Urlaubsland bei deutschen Banken in der Kreide. Auch für manchen Großbanker ist das alles, was er hat.

Die iberische Tradition des Schuldenmachens im großen Stil begründete König Philipp II. (1527-1598), in dessen Riesenreich allenfalls finanziell die Sonne unterging. Auf ihn könnte man den galligen Witz münzen, der schon auf so manchen Finanzpolitiker zielte: "Er war ein Wunderkind - er verstand schon mit sechs Jahren so viel von Geldwirtschaft wie heute."

Phillip lernte nämlich erst spät für einen Königssohn Lesen, Schreiben und Rechnen. Er muss eine richtige Stimmungskanone gewesen sein - der Monarch trug stets Schwarz, residierte in kastilischer Kloster-Einöde, sprach kaum und lachte niemals. Zur Entspannung führte der "Düstere" unterhaltsame Kriege. Doch spätestens als seine mit ungeheurem Aufwand gebaute Armada vor England an wütenden Elementen und noch wütenderen englischen Seehelden wie Sir Francis Drake zerschellte, blickte Philipp in den finanziellen Abgrund. 1557, 1575 und 1596 musste er den Staatsbankrott erklären; den Gläubigern in Europa kam das ziemlich spanisch vor.

Zu ihnen gehörte auch das Augsburger Bankhaus Fugger. Zu dessen Kunden zählten im 15. und 16. Jahrhundert vier Päpste, drei Kaiser sowie die Könige von Deutschland, Spanien, Portugal, England, Dänemark und Ungarn. Die unermesslich reichen Kaufleute und Bankherren stiegen in den Fürstenstand auf, finanzierten Krönungen und Feldzüge quer durch den Kontinent, erlitten aber gigantische Verluste - etwa durch den ersten Staatsbankrott der spanischen Habsburger 1557 - und gingen schließlich als europäischer Machtfaktor im Strudel des Dreißigjährigen Krieges unter.

Wenn man Preußen als damalige deutsche Vormacht mitzählt, hat auch Deutschland in seiner Geschichte acht Pleiten aufzuweisen - und damit drei mehr als Griechenland. 1807 und 1813 zu Beispiel waren es die enormen Kosten von Niederlage und Freiheitskrieg gegen den Korsen Napoleon. Doch diese Ausgabe lohnte sich wenigstens: Deutschland wurde frei. Heute erinnern noch unsere Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold an diesen Kampf: Das Freikorps der Lützower Jäger trug schwarze Uniformen mit roten Aufschlägen und goldenen Knöpfen. Der Bankrott Preußens hatte langfristig dramatische Folgen - die Bevölkerung musste über Steuern stärker belastet werden, beanspruchte aber zum Ausgleich stärkeres politisches Mitspracherecht. Der Funke der Demokratie begann schwach zu glimmen. 1923 und 1948 waren es die Folgen der beiden Weltkriege, besonders dramatisch 1923, als eine Theaterkarte eine Milliarde Reichsmark kosten konnte. Die Hyperinflation stürzte Millionen in Armut und erschütterte die noch junge Demokratie in Deutschland.

Im Jahre 1998 fürchteten Anleger, Russland werde aufgrund des Ölpreisverfalls und anderer Faktoren ins wirtschaftliche Chaos stürzen. Sie zogen ihr Geld ab - zeitweise mit einer Rate von einer Milliarde Dollar pro Woche. Moskau zog die Notbremse und wertete den Rubel um mehr als 70 Prozent ab. Die steigenden Öl- und Gaspreise schwemmten später wieder Milliarden in die Staatskasse. 2006 war das Land schuldenfrei - um 2009 frontal in die Finanzkrise zu laufen.

2002 traf der jüngste Staatsbankrott Argentinien - wörtlich das Land des Silbers. Auch hier hatten Anleger ihr Geld abgezogen; Investitionen und Exporte brachen ein, eine Pleitewelle überrollte das einst reiche Land. Die Regierung in Buenos Aires nahm in großem Maßstab Kredite auf und saß schließlich auf 100 Milliarden Dollar Anleiheschulden. Man wertete den Peso zunächst ab, was wenig half, und gab ihn dann frei. Zeitweise betrug die Abwertung gegenüber dem US-Dollar 74 Prozent. Die Gehälter verfielen dramatisch, aber beides machte Argentiniens Wirtschaft wieder konkurrenzfähig, heute ist das Land ohne Mega-Kredite aus der Schuldenfalle heraus.

Der Konkurs, so lautet ein Spötterwort, sei die beliebteste Form der Sanierung von Unternehmern, die sich übernommen hätten. Doch im Gegensatz zu Firmen, denen dabei durchaus der Garaus blühen kann, hören Staaten deshalb nicht auf zu existieren. Sie finden irgendwie immer Finanziers. Die Geschichte lehrt aber: Wenn der Euro wieder währungspolitische Quengelware werden soll, müssen die europäischen Bankrott-Kandidaten wohl einen steinigen Weg gehen.