Drei Hamburger Griechen ordnen die Lage in ihrem Heimatland ein. Ein Gespräch über Krise, Korruption und Klischees.

Hamburg. Alle sprechen über Griechenland. Über den drohenden Staatsbankrott. Und die Angst um den Euro. Doch was denken die knapp 10 000 Hamburger Griechen über die Haushaltskrise ihres Heimatlandes? Das Abendblatt hat drei von ihnen zum "Griechen-Gipfel" ins Restaurant "Kouros" An der Alster geladen: Gastronom Spyros Kyvranoglou, Unternehmer Panos Drossinakis und Touristik-Experte Alexandrou Andreas philosophieren über die Krise.

Die Ursachen

Panos Drossinakis:

Die Krise hat verschiedene Gesichter. Zunächst haben wir ein rein griechisches Problem, das durch die hohe Verschuldung, aber auch durch Korruption und Steuerhinterziehung entstanden ist. Fehlverhalten, das in den vergangenen Jahrzehnten leider nicht ausreichend bekämpft wurde. Dazu kommt der internationale Einfluss von Spekulanten und Rating-Agenturen, die weltweit die Wirtschaft kontrollieren und manipulieren. Und dann gibt es ein mediales Problem. Mich empört, dass insbesondere in den deutschen Medien alle Griechen pauschal als Trickser und Betrüger dargestellt werden ...

Spyros Kyvranoglou:

... nun muss man sich zunächst aber mal bei Deutschland bedanken, weil uns Angela Merkel in letzter Sekunde vor der Staatspleite gerettet hat! Die griechischen Bürger sind erzürnt und von früheren Regierungs-Cliquen enttäuscht. Sie gehen jetzt auf die Straße, weil sie sich natürlich fragen: Jahrelang sind EU-Subventionen geflossen. Nur, wo bitte ist das Geld geblieben, in welchen dunklen Kanälen ist es verschwunden? Der einfache Bürger jedenfalls hat davon nichts gesehen.

Alexandrou Andreas:

Gut, aber es gab durchaus schon vor Jahren seitens der Politik Versuche, die Verschuldung durch Steuererhöhungen in den Griff zu bekommen. Nur wollten das viele Griechen nicht, weil sie nach der Einführung des Euro auch ganz gern über ihre Verhältnisse gelebt haben. In Athen sind wahrscheinlich noch heute mehr Porsche unterwegs als in ganz Deutschland ...Nee, schuld an der Krise sind die Griechen schon selbst.

Die Milliarden-Hilfe

Andreas:

Über Deutschlands Hilfe, über diesen viel zitierten Milliardenkredit, muss man wissen: Es handelt sich dabei um ein Darlehen, an dem Deutschland und auch die EU verdienen. Das kommt in der öffentlichen Wahrnehmung leider viel zu kurz.

Drossinakis:

Genau! Griechenland wird mit einer Leihgabe unterstützt, für die schon bald die ersten Zinsen fällig sein werden, dann werden Millionen von Athen nach Berlin fließen. Griechenland wird seine Schulden tilgen.

Andreas:

Klar, am Ende geht es immer ums Geschäft, so ganz uneigennützig handelt in der Angelegenheit niemand. Trotzdem kann man jetzt wirklich nur hoffen, dass die Griechen aus dem Schlamassel ihre Lehren ziehen. Das Volk wird bluten müssen: Renten und Gehälter werden gekürzt, eine Pleitewelle kommt, die Arbeitslosigkeit steigt. Das werden harte Zeiten.

Kyvranoglou:

Vor allem, weil es schon jetzt an barem Geld fehlt. In Griechenland wird häufig mit Schecks bezahlt - nur sind die derzeit oft ungedeckt.

Drossinakis:

Aus all diesen Gründen halte ich den Vorwurf, dass die Griechen zu wenig tun, um aus der Krise rauszukommen, für nicht zulässig. Richtig ist, dass sie in der Vergangenheit zu wenig getan haben, um die Vetternwirtschaft zu beenden. Die neue griechische Regierung hat aber - übrigens lange bevor die Europäische Union dies gefordert hat - harte Maßnahmen gegen die Probleme ergriffen, auch gegen Steuerhinterziehung und Korruption. Die Arbeiter und Angestellten, die jahrelang brav ihre Steuern gezahlt haben, sind natürlich trotzdem frustriert. Sie fordern Gerechtigkeit und endlich Strafen für diejenigen, die sich selbst in die Taschen gewirtschaftet haben. Nur lassen sich deren Vergehen eben nicht von heute auf morgen beweisen und bestrafen.

Kyvranoglou:

Ja, die Oberschicht, die sich selbst jahrelang die Steuern erlassen hat, muss zumindest jetzt zur Kasse gebeten werden.

Die drei Herren bestellen jeweils noch einen eiskalten Ouzo zur heißen Diskussion. Und blicken kurz auf das Likörello des Sängers Udo Lindenberg, der als Nachbar - das "Atlantic" ist nicht weit - im "Kouros an der Alster" Stammgast ist. "Keine Panik" hat er über die griechische Flagge gepinselt. Vor Monaten. Ein Visionär, meinen die drei Griechen. Panisch sind sie wirklich nicht. Eher ein bisschen ratlos.

Andreas:

Findet Ihr wirklich, dass es reicht, allein die Bürger zu schröpfen? Müssen wir nicht auch endlich das teure Wettrüsten mit der Türkei beenden? Kauft Griechenland 20 Panzer, ordert die Türkei 40. Das ist doch Irrsinn, wir sind schließlich nicht im Krieg!

Drossinakis:

Über 4,3 Prozent des griechischen Bruttoinlandsproduktes geht für die Verteidigung drauf - fast doppelt so viel wie in Deutschland. Und wo werden viele der Flieger, Panzer, U-Boote, Fregatten bestellt? Türkei und Griechenland gehören zu den besten Kunden der deutschen Rüstungsindustrie.

Die griechische Mentalität

Drossinakis:

Kommt man in Griechenland ins Krankenhaus, schenkt man der Schwester oder dem Arzt oft Geld. Um schneller untersucht zu werden, um ein besseres Zimmer zu bekommen. Ein anderes Beispiel: Wenn der Postbote in meinem Dorf einem alten Mann dessen Rente von 450 Euro bringt, gibt der Rentner dem Boten 10 Euro, damit dieser "einen Kaffee trinken" kann. Das ist eben die Mentalität der Griechen.

Kyvranoglou:

Ja, so sind wir. Aber Letzteres hat nichts mit Bestechung zu tun. Das ist eine freundliche Geste, ein Dankeschön.

Drossinakis:

Stimmt. Korrupt ist, wenn der Arzt sagt: Nur wenn du mir 500 Euro gibst, operiere ich deine Mutter schon morgen. Aber natürlich sind auch in Griechenland nicht alle Ärzte bestechlich. Viele deutsche Touristen werden positive Erfahrungen gemacht haben, falls sie während ihres Urlaubs ins Krankenhaus mussten.

Das Lokal füllt sich unaufhaltsam, um kurz nach 19 Uhr ist kein Tisch mehr frei. Es ist fast so, als seien alle Gäste dem Aufruf von Kostas Papanastasiou gefolgt. Der 73-Jährige ist nämlich Deutschlands wohl bekanntester Grieche: In derARD-Serie "Lindenstraße" (Sonntags, 18.50 Uhr) führt er als Wirt Panaiotis Sarikakis das "Akropolis". Gerade jetzt sollten die Deutschen griechisch essen gehen, meint der Schauspieler, dessen Familie in Berlin selbst ein griechisches Lokal betreibt.. "Der einfache Grieche kann nichts für die Krise, wir sind auch nur die Leidtragenden."

Im "Kouros"an der Straße An wer Alster begrüßt Spyros Kyvranoglou jeden Gast herzlich, wechselt mit jedem ein paar Worte. Das Thema? Hellas, Griechenland natürlich.

Kyvranoglou:

Na klar, die Gäste machen natürlich Sprüche. Nach dem Motto: Wir bestellen jetzt noch einen Ouzo mehr, wir müssen Griechenland schließlich unterstützen! Manche sagen auch: Wir kaufen dir mal eine Flasche Olivenöl ab, damit ihr nicht bankrott geht.

Andreas:

In der Tourismus-Branche ist das deutlich weniger lustig. Die Buchungen aus Deutschland sind im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent eingebrochen. Das liegt vor allem daran, dass die großen Reiseveranstalter Griechenland in diesem Jahr überhaupt nicht bewerben. Zudem haben die deutschen Touristen Angst vor Krawallen an ihrem Urlaubsort. Das ist natürlich Blödsinn, denn die Demonstrationen und Aufstände laufen in Athen ab - nicht auf Kreta oder Kos.

Drossinakis:

Ich will wissen, wie die Hamburger uns wahrnehmen. Ich glaube nicht, dass sie uns als Trickser und Betrüger kennengelernt haben. Wir gehören zu den am besten integrierten Migranten, wir arbeiten hart und sind erfolgreich. Deshalb mag ich es nicht, wenn unser Volk so negativ in die Schlagzeilen gerät.

Rettende Ideen?

Andreas:

Es gibt die absurdesten Theorien. Gerade erst hat eine griechische Tageszeitung geunkt, dass wir unsere Inseln verkaufen sollten ...

Drossinakis:

Für so abwegig halte ich das Szenario gar nicht. Es laufen im Hintergrund doch längst Anfragen von internationalen Investoren, die jetzt das ein oder andere Filet-Grundstück oder einen schönen Strand abgreifen wollen. Ich hoffe nicht, dass es dazu kommt. Fest steht: Die Griechen müssen sparen, der riesige Beamtenapparat muss reduziert und der Export angekurbelt werden. Spargel allein reicht nicht!

Andreas:

Entscheidend ist, dass die neue Regierung die Griechen nicht enttäuscht. Sie muss durchgreifen. Ich schätze, in einem Jahr sehen wir erste Ergebnisse.

Drossinakis:

Ministerpräsident George Papandreou hat einen guten Ruf, er arbeitet systematisch und ist glaubwürdig. Er ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, warum die deutsche Regierung auf eine Besserung der Verhältnisse vertraut. Ich traue es ihm auch zu, die Krise in den Griff zu kriegen. In Griechenland stehen 70 Prozent der Bürger - bei allem Unmut - auf der Seite der Regierung.

Kyvranoglou:

Ich glaube, die Hauptsache ist doch, dass wir Griechen den Kopf nicht in den Sand stecken!

Die Teilnehmer des Gipfeltreffens beschließen die Bestellung eines letzten Ouzo und stoßen auf ihre Heimat an.

Keine Panik eben.