In einem Land, in dem es rund 82 Millionen potenzielle Fußball-Bundestrainer gibt, ist es keine Überraschung, dass Entscheidungen des amtierenden Nationaltrainers ganz genau überprüft werden. Amtsinhaber Joachim Löw weiß das. Und es ist ihm hoch anzurechnen, dass er sich keineswegs von der Meinung der 82 Millionen Kollegen beeinflussen lässt. Und doch hätte es Löw in den vergangenen Wochen gutgetan, den einen oder anderen wohl gemeinten Rat über eine Nominierung des zuvor in Ungnade gefallenen Stürmers Kevin Kuranyi anzunehmen. So beschworen Löw viele, den Schalker Angreifer trotz dessen Stadionflucht im Oktober 2008 nach Südafrika aufgrund seiner exzellenten Saison mitzunehmen. Andere rieten Löw, keinesfalls von seiner vorher konsequenten Linie abzurücken und deshalb Kuranyi nicht zu berücksichtigen. Löw entschied sich, sich nicht zu entscheiden. Bis gestern.

Am Montag sagte Bundestrainer Löw Stürmer Kuranyi nun doch ab - endgültig. Der disziplinarische Vorfall in der Halbzeit des Russlandspiels habe für seine Entscheidungsfindung letztlich keine Rolle gespielt, sagte Löw, sondern vielmehr seien es "taktische" und "personelle Überlegungen" gewesen, sich so zu entscheiden. Eine Erklärung, die weder Kuranyis Befürworter noch seine Gegner verstehen. Denn Kuranyis 18 Saisontore kann man - auch Löw - nicht einfach ignorieren. Und dass er trotz offensichtlich herausragender Fähigkeiten nicht ins taktische Konzept Löws passt, hätte der Nationaltrainer auch vor Wochen schon wissen können - behauptet an dieser Stelle zumindest einer der rund 82 Millionen potenziellen Bundestrainer.