Das Bauwerk erinnert an Deportation von Juden aus Villa am Grotiusweg 36. Am Freitag wollen die privaten Spender das Sechseck der Stadt übergeben.

Hamburg. Es ist ein Mahnmal der besonderen Art. Bescheiden, würdevoll, hanseatisch. Wer näher hinschaut oder hineingeht, erfährt den Sinn: In 17 Lärchenbohlen sind die Namen jener Menschen gefräst, für die sich in der imposanten Villa nebenan ein schreckliches Schicksal fortsetzte. Vom Haus Grotiusweg 36 in Blankenese wurden die dort zwangsweise untergebrachten Juden in Konzentrationslager deportiert. Bis auf zwei, die sich noch in Hamburg das Leben nahmen, wurden alle ermordet.

Wenn dieses 4,80 Meter hohe und ebenso breite, sechseckige Mahnmal am kommenden Freitag der Stadt bei einem offiziellen Festakt übergeben wird, lebt die Erinnerung an eben nicht vergessene Zeiten auf. Das nun für jeden sichtbare Gedenken basiert nicht auf einer staatlichen, sondern auf einer bürgerlichen Initiative aus dem Bezirk. Der Verein und private Spender brachten mehr als 50.000 Euro auf. Auch die neuen Besitzer der Villa Grotiusweg 36 engagierten sich finanziell. Beim Kauf vor ein paar Jahren hatten Medienmanager Gerd Schulte-Hillen und seine Ehefrau keine nähere Kenntnis von der dunklen Vergangenheit des Hauses. Beide reagierten verantwortungsbewusst, machten sich kundig, spendeten erheblich und werden bei der Übergabe des Denkmals ebenso das Wort ergreifen wie Kultursenatorin Barbara Kisseler und der schaffende Künstler Volker Lang. Letzterer machte sich einen Namen auch mit dem Gedenkhaus für die Opfer des Feuersturms in Rothenburgsort.

Bewusst konstruierte er ein nach oben offenes Bauwerk ohne Dach – symbolisch für die Schutzlosigkeit der Bewohner vor mehr als sieben Jahrzehnten im sogenannten „Judenhaus“ am damaligen Steubenweg 36 am Falkenstein. Bereits 1938, im Zuge der „Polenaktion“, wurden zwölf jüdische Menschen aus der Blankeneser Villa gewiesen, verhaftet und gewaltsam außer Landes geschafft. 1941 wurden drei weitere Bürger ins Konzentrationslager nach Lodz, 1942 die restlichen nach Theresienstadt deportiert.

Das auf diese Weise geräumte und für „Arier“ vorgesehene Haus war 1905 von einem angesehenen Zahnarzt namens Dr. Fenchel erbaut worden. 1930 erwarb die Hamburgerin Emmy Lokay das Gebäude, um einen Kibbuz einzurichten. Dort bereiteten sich junge Juden, die Chaluzim, auf ihre Auswanderung nach Palästina und die Arbeit in der Landwirtschaft vor. Später wurde die Villa zudem als Tageskolonie für jüdische Ferienkinder genutzt. Den Nationalsozialisten war dieses friedfertige Wirken suspekt. Das Ende ist bekannt.

„Diese schrecklichen Taten sind ja praktisch vor unserer Haustür begangen worden und dürfen niemals in Vergessenheit geraten“, sagt Friedemann Hellwig vom Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese. Der 75-Jährige arbeitete früher als Professor für Restaurierung und Konservierung von Holzobjekten in Köln und lebt seit seiner Pensionierung im Blankeneser Treppenviertel.

Selma Schümann nahm sich zwei Tage vor der Deportation das Leben

Den Vereinsvorsitz übernahm er vom Ende 2011 verstorbenen Grünen-Politiker Martin Schmidt, der sich zuvor intensiv um das Haus Grotiusweg 36 und das Schicksal der umgebrachten Bewohner gekümmert hatte. Seit mehr als zehn Jahren engagieren sich mehr als 35 Hanseaten ehrenamtlich für die Aufbereitung finsterer Jahre – mit lokalem Schwerpunkt. Nach und nach wurden in Blankenese 28 Stolpersteine verlegt, um an Opfer der NS-Diktatur zu erinnern. Parallel wurde die oft ausgeklammerte Geschichte Blankeneses im Dritten Reich erforscht. Dazu gehörten Gedenkbücher der Kirchengemeinde und für die Juden im Stadtteil sowie eine Dokumentation über Schulen und Vereine, Vorträge, Lesungen, Konzerte und Führungen. Am Jahrestag der letzten Deportation der Juden aus der Villa Grotiusweg 36 ins KZ vom 19. Juli 1942 werden seit 2005 Gedenkveranstaltungen organisiert. Zweimal lud der Verein rund 100 Überlebende des Holocaust aus aller Welt, die „Kinder von Blankenese“, in den Westen Hamburgs ein.

Die Kosten von mehr als 50.000 Euro wurden ebenfalls durch Spenden finanziert. Die jüdischen Waisen wurden zwischen 1946 und 1948 auf dem Gelände der Familie Warburg auf dem Kösterberg an der Elbe von amerikanisch-jüdischen Organisationen und Einzelpersonen aus Palästina/Israel betreut. Das neue Mahnmal, auf schwarzem Basalt an der Straßenseite vor der geschichtsträchtigen Villa positioniert, soll für eine dauerhafte Erinnerung sorgen. Auf eine Tafel wird bewusst verzichtet. Die 17 Namen der Ermordeten im Lerchenholz, die Geburts- und Sterbedaten, sind aussagekräftig genug.

Auch Olga Babette Arnthal gehört dazu. Vor zwei Jahren reiste ihre Enkelin aus England an, um ihren Frieden mit Blankenese zu schließen. Selma Schümann nahm sich zwei Tage vor der Deportation aus dem damaligen Steubenweg 36 im Alter von 66 Jahren das Leben. Ihrer Familie gehörte einst Schümann’s Austernkeller in der Innenstadt, eine Hamburger Institution.

Statt einer erklärenden Tafel neben dem Mahnmal ist eine Zeile aus Paul Celans Gedicht „Sprachgitter“ in die Holzbohlen gefräst: „Himmel, herzgrau, muß nah sein.“