Morgen gibt es vor der Sommerpause in der Schrebergartenkolonie am Othmarscher Mühlenweg noch eine offene Probe auf der Bienenwiese.

Ottensen. Was ist das? Leise schweben die Töne über die Apfelbäume, über Hecken und Rosensträucher. Könnte von Bach sein. Folgt man den Klängen, öffnet sich irgendwann zwischen den Kleingärten eine Wiese. In der Mitte sitzen zwei Frauen und zwei Männer, spielen Saxofon. Es ist Bach. Eine Fuge. Drum herum haben sich einige Zuhörer versammelt, dazwischen pickt Huhn Lilly seelenruhig im Gras. Kleine Fluchten, mitten in der Stadt.

Immer mittwochs bei gutem Wetter gibt es Gartenmusik in der Schrebergartenkolonie am Othmarscher Mühlenweg, kostenlos und draußen. Offene Probe auf der Bienenwiese. "Wir wollten zeigen, dass es bei uns mehr gibt als Gartenzwerge", sagt Rainer Scholz. Der Mann ist Kleingärtner aus Überzeugung, in vierter Generation bewirtschaftet seine Familie Parzelle 343 des Heimgartenbunds Altona, außerdem ist er Funktionär im Landesverband der Gartenfreunde in Hamburg. Mit Marianne Haunstein, ebenfalls Besitzerin eines Schrebergartens und zudem Musikerin aus Leidenschaft, hatte er vor drei Jahren die Idee für die ungewöhnliche Verbindung zwischen Kunst und Kolonie. An diesem Tag spielt sie selbst mit ihrem Quartett "Nie wi(e)der Nachbarn".

Man sitzt unter Apfelbäumen. Und man weiß nie, was kommt. "Es ist eine besondere Atmosphäre", schwärmt Kleingärtnerin Karin Hohenhausen. Manche bringen ihr Picknick mit. Für 20 Cent bekommt man ein Glas Wasser, ein Bier kostet einen Euro. Auch Karin Droop, die mit Familie und acht Hühnern im einzigen Haus an der Bienenwiese wohnt, ist fast immer dabei. "Wir freuen uns immer, wenn es wieder losgeht." Längst haben die musikalischen Leckerbissen unter freiem Himmel sich zum Geheimtipp entwickelt. "Man hört Sachen, die man sonst nicht hören würde", sagt Annette Helm. Und muss sich nicht mal schick machen. "Idylle pur", sagt eine andere.

+++ Schreber-Jazz +++

Dabei hat die Gartenmusik noch einen anderen Hintergrund. "Es ist eine Kooperation mit der Initiative Apfelbaum sucht Wurzelraum zur Rettung der Kleingärten in Altona", sagt Rainer Scholz. Seit mehr als zehn Jahren schwelt die Debatte um die Zukunft der Kolonien am Rand von Ottensen. Aktuell sind 80 Kleingärten bedroht. Auf den attraktiven Flächen zwischen Bernadotte- und Behringstraße sollen nach dem Willen des Senats Wohnungen gebaut werden. "Es geht uns darum zu zeigen, wie wichtig die Gärten für die Menschen sind", sagt Marianne Haunstein. Dafür haben die Kleingärtner die Bienenwiese gepachtet. Je nach Jahreszeit gibt es Osterfeuer, Apfelfest, Kinderzelten oder eben Gartenmusik.

Die Natur als Bühne - die Musiker finden es gut. "Es macht Spaß", sagt Saxofonist Thomas Österheld. "Oft kommen Leute vorbei und bleiben. Auch solche, die nie in die Musikhalle oder in die Oper gehen würden." Manchmal dauert es eine Stunde, manchmal auch drei. Nur bei Regen fällt die Gartenmusik ins Wasser. Wer wann auf der Bienenwiese spielt, organisiert Marianne Haunstein. "Mitspielende Gäste sind immer willkommen", sagt sie. Los geht es um 19 Uhr. Der nächste Termin ist morgen, am 20. Juni. Danach ist Sommerferienpause.

Weitere Infos: wurzelraum.de; schreberpacken.de oder unter 040/390 93 73. An diesem Abend gibt es nicht nur Bach, sondern auch Debussy. "Normalerweise kennt man ihn romantisch", sagt Österheld, "bei diesem Stück hat er sich vom Ragtime inspirieren lassen." Klingt auch gut, und die Töne schweben wieder.