Im Restaurant unsicht-Bar werden die Geschmacksnerven beim Menü neu gereizt. Gegessen wird nämlich im Dunkeln. Ohne Licht wird die Nahrungsaufnahme zum Abenteuer. Schön, wenn es dann noch lecker ist.

„Wie sieht’s hier denn aus?“, fragt eine Stimme empört. Sie gehört Rainer, dem Kellner. Die Frage ist nicht ernst gemeint, denn Rainer ist blind. Auch niemand sonst kann sehen, wie es auf den Tischen in der unsicht-Bar aussieht: In dem Dunkelrestaurant am Kleinen Schäferkamp ist es nachtschwarz. Handys sind nicht erwünscht, selbst die Leuchtziffern der Uhr wirken störend. Essen wird zur neuen Erfahrung. Mit dem Slogan „Schmecken! Riechen! Hören! Fühlen“ wirbt die unsicht-Bar, die es auch in Berlin und Köln gibt. Bevor Rainer sich sicher durch die Tischreihen bewegt und den ersten von vier Gängen serviert – als Vorspeise wird rote Linsen-Ananas-Suppe gereicht – muss der Besucher eine Reihe von Spielregeln befolgen: Nicht ohne Begleitung des Kellners aufstehen, lange Haare zusammenbinden, damit sie später nicht in der Suppe hängen, Gläser hochnehmen, wenn serviert wird. Ohne Rainer wäre auch Tisch Nummer 22 unerreichbar gewesen, aber eine Polonaise mit den Händen auf seinen Schultern führt zum reservierten Platz.

Schnell stellt man fest, dass man auf Tuchfühlung mit anderen Gästen sitzt. Fast zwangsläufig kommt man in Kontakt mit seinem unsichtbaren Nachbarn und checkt ab, wie weit man voneinander entfernt sitzt. Dann beginnt das vorsichtige Tasten nach Besteck und Gläsern. Mit dem Schmecken geht es weiter. Niemand der Gäste weiß vorher, was er serviert bekommt, nur das Geschmacksfeld des Menüs wird gewählt. Zur Auswahl stehen Käse, Lamm, Fisch, Fleisch, Geflügel, vegetarisch und das Überraschungsmenü. Die Speisefolgen kosten zwischen 41 und 59 Euro und werden als Drei- oder Vier-Gänge-Menü serviert. Erst am Ende des Abends kann man an der Rezeption einsehen, ob die Geschmacksnerven die richtigen Ingredienzen erraten haben. Die Bohnen und die Putenbrust im Salat auszumachen war weniger schwierig als beim Hauptgang die Frage nach den Körnern im Kartoffelbrei. Später stellt sich heraus, dass Koch Dave Rinka den Brei mit Mohn angereichert hat.

Auch der Kokos-Parmesan-Kuchen mit Vanilleeis auf Himbeerspiegel zum Dessert war in der Dunkelheit nicht in allen Einzelheiten zu entschlüsseln – das Auge isst mit. Normalerweise. Die Kommunikation in dieser Dunkelkammer ist ungewohnt. Augenzwinkern, Mundverziehen und andere Formen von Gestik und Mimik fallen weg, man muss seinem Gegenüber bei diesem Blind Date genau zuhören, fällt sich aber auch nicht gegenseitig ins Wort. Gesprächsdetails von den Nachbartischen werden ebenfalls wahrgenommen, weil die Ohren genauer in die Dunkelheit horchen. An Rainers Schulter geht es durch eine schummrige Schleuse wieder ins Helle – mit einem wohligen Gefühl im Bauch und um viele Eindrücke reicher.

unsicht-Bar Mi–Sa 18.00–24.00 (U Schlump), Kleiner Schäferkamp 36, T. 85 59 94 52, reservierung@unsicht-bar-hamburg.de