Spätestens seit dem Juli 2016 ist in der Türkei nichts mehr, wie es war. Nach dem gescheiterten Putsch gegen den gewählten Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kennt dieser nur noch Freund oder Feind. Mehr als 50.000 Verdächtige sitzen seitdem in türkischen Gefängnissen und müssen mit hohen Strafen rechnen, auch Menschenrechtler und Journalisten leben in der Türkei gefährlich. Seit der vorigen Woche sitzt etwa Taner Kilic, der Leiter von Amnesty International in der Türkei, in U-Haft. Ihm wird vorgeworfen, Mitglied der Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen zu sein, die laut Erdogan hinter dem Putschversuch steckt. Amnesty sprach von einer „Justizfarce“ und forderte die Freilassung Kilics.

Auf jener für Deniz Yücel und etwa 150 weitere inhaftierte türkische Journalisten pocht auch ein namhaftes Aufgebot von Hamburger Künstlern, Kollegen und Freunden: „Wir wollen das Meer sehen“ heißt der Solidaritätsabend für Yücel, dessen Vorname Deniz auf Deutsch „Meer“ bedeutet, am morgigen Donnerstag im Uebel & Gefährlich. 122 Tage wird der Korrespondent der Tageszeitung „Die Welt“ dann bereits in Haft sitzen – in Einzelhaft, im türkischen Silivri, 75 Kilometer westlich von Istanbul, weil ihm Erdogans autokratischer Staat „Terrorpropaganda“ und „Volksverhetzung“ vorwirft.

Nachdem am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, ein Solidaritätskonzert für Deniz Yücel vor dem Brandenburger Tor in Berlin über die Bühne ging, sollen nun aus dem „Uebel“, dem Bunker-Club auf St. Pauli, Signale für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gesendet werden.

ARD-„Tagesthemen“-Anchorman Ingo Zamperoni moderiert den Abend. Hamburgs Punk-Veteranen Slime um Sänger Dirk „Dicken“ Jora, die norddeutsche Neo-Soulband Rhonda um Gitarrist Ben Schadow und die drei Rock-Lyriker der Hamburger Band Trümmer mischen ebenso mit wie die Musiker Bernd Begeman und Frank Spilker, die mir ihren Bands Die Antwort und Die Sterne einst Hamburger Schule machten und die gleichnamige Musikrichtung vor 25 Jahren mit­begründeten.

Dazu kommen „Spiegel“-Redakteurin und Henri-Nannen-Preisträgerin Özlem Gezer, Journalistin und Netz-Aktivistin Kübra Gümüşay, der Autor und Aktivist Imran Ayata sowie die Schauspielhaus-Ensemblemitglieder Anne Müller und Paul Herwig. Last but not least die Satire-Fraktion mit „extra 3“ vom NDR, der diesjährige Deutsche Kleinkunstpreisträger Nico Semsrott und Kerim Pamuk. „Es geht darum, Haltung zu zeigen“, sagt der Kabarettist und Autor stellvertretend für seine Mitstreiter, „aber auch darum, dass man beleuchtet, warum sich die deutsche Regierung mit Frau Merkel so verhält, wie sie es tut.“ Pamuk selbst will beim zu erwartenden „langen engagierten Abend“ (mit Aftershow-DJ-Set ) Auszüge seines Soloprogramms spielen. Titel: „Selfies für Blindschleichen“.

„Wir wollen das Meer sehen“: Ein Abend für Deniz Yücel Do 15.6., 19.30 Uhr, Uebel & Gefährlich, Feldstraße 66, Eintritt 4 Euro