Als einer der großen deutschen Maler der Nachkriegszeit wird Georg Baselitz, 79, in die Kunstgeschichte eingehen. Das Barlach Museum in Wedel zeigt jetzt bis zum 10. September hundert grafische Werke (Radierungen, Holz- und Linolschnitte) aus unterschiedlichen Serien des Künstlers, die charakteristisch sind für sein Gesamtwerk.

Fast hätte Kurator Jürgen Doppelstein die Ausstellung „Remix“ genannt. Denn in den meisten hier ausgestellten Werkzyklen bezieht Baselitz sich auf frühere eigene Bilder, Themen oder Figuren wie den martialischen Soldaten mit entblößtem Geschlecht. Damit verbunden scheint ihm das Gefühl eines nahenden Untergangs sehr vertraut zu sein; es ist der Untergang jener Welt, in der er als 1938 Geborener aufwachsen musste. Ursprünglich sollte das für Baselitz typische Auf-dem-Kopf-Stehende fast sämtlicher Motive eine provokante Aufforderung an die Betrachter sein, genauer hinzuschauen. Als Serie, besonders von Männern, die verkehrt herum hängen, hat es auch etwas von einer Höllenfahrt.

Den Anfang macht aber ein geradezu duftig-leichter Zyklus, in dem Baselitz sich auf den romantischen Maler Caspar David Friedrich bezieht. Allerdings werden sich die wenigsten an eines seiner Bilder erinnern, wenn sie die fragmentarisch gezeichneten Einzelfiguren betrachten, denen Baselitz rote oder schwarze Rosen zugesellt. Über dieser Serie steht ein Satz des Künstlers, der darauf und auf die ganze Ausstellung zutrifft: „Die Realität ist das Bild. Sie ist ganz sicher nicht auf dem Bild.“

Danach aber geht’s schon ans Eingemachte: Im Zentrum der Schau findet man die Neubearbeitung eines Motivs, das 1963 einen Kunst-Skandal ausgelöst hat: „Die große Nacht im Eimer“, heißt das Bild einer gelb grundierten Figur, die zweifellos den masturbierenden Adolph Hitler darstellt. Ihm zu Füßen ruht ein Totenkopf, er selbst steht in einer dunklen Lache. Seinerzeit wurde das Bild per Gerichtsbeschluss aus der Ausstellung entfernt, und der 26-jährige Baselitz war plötzlich berühmt.

Der männliche Größenwahn, der in Gestalt von Adolph Hitler die Welt zwischen 1939 bis 1945 in die Katastrophe geführt hat, ist sein großes Thema. Als Folge davon ist der gebrochene Mann (oft auch als Soldat), dem die eigenen Ziele abhanden gekommen sind, das zentrale Feld, an dem Baselitz sich auch in dieser sehenswerten Ausstellung in immer neuen Variationen abarbeitet.

Im Obergeschoss treibt er dieses Sujet noch weiter mit so genannten Frakturbildern: Wie auf alten Spielkarten, nur ohne deren Symmetrie, passt hier der obere Teil nicht mit dem unteren zusammen.

Der vielleicht schönste, intensivste Zyklus trägt den Titel „Im Wald und auf der Heide“. Hier entwickelt Baselitz seine Bildideen immer wieder aus den Strukturen eines laublosen Waldes heraus, der sich mal wie ein Gefängnisgitter übers Papier breitet, mal als Kruzifix und mal als Zufluchtsort. Leicht ist das Werk dieses Künstlers nicht zu lesen. Das braucht Zeit. Und die Bereitschaft, die eigene Fantasie mit ins Spiel zu bringen.

George Baselitz: „Gebrochene Helden“ Ernst Barlach Museum Wedel, Mühlenstraße 1, Di-So 11 bis 18 Uhr, Eintritt 8, ermäßigt 6 Euro