Hamburg. Besuch im Agaplesion Klinikum: Die Pandemie verlangt dem Personal viel ab, die Mitarbeiter halten die Stellung auch an den Feiertagen.

Heiligabend stehen Würstchen und Kartoffelsalat auf dem Speiseplan – so wie in vielen Haushalten auch. Am ersten Weihnachtstag werden Rouladen mit Rotkohl und Kartoffeln serviert, am zweiten Hirschgulasch mit Rosenkohl und Spätzle. Soweit herrscht festliche Normalität im Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg. Wer die Festtage im Krankenhaus verbringen muss, soll wenigstens nicht darben. Gabriele Schöning wäre froh, wenn sie wenigstens schon mal Kartoffelbrei essen dürfte, aber nach ihrer Darmkrebsoperation bekommt sie derzeit nur Flüssignahrung.

Mit ihrer Situation hadert die 67-jährige Hamburgerin dennoch nicht: „Weihnachten spielt für mich gar keine Rolle, ich habe keine Kinder“, sagt sie. Sie sei zudem hartgesotten, „ist ja nicht meine erste Operation“. Die Patientin hofft aber, dass sie noch vor dem Jahreswechsel entlassen wird und irgendwann vielleicht wieder die von ihr so geliebten orientalischen Gerichte essen kann. Die Klinik an der Hohen Weide in Eimsbüttel ist überall weihnachtlich geschmückt, in Aufenthaltsräumen glänzen Kugeln an üppigen Tannenbäumen, Lichterketten und Sterne sorgen für eine stimmungsvolle Atmosphäre, und dennoch ist vieles anders in diesem Jahr. Die Corona-Pandemie lässt das übliche Herunterfahren über die Weihnachtstage nicht zu.

Dienstpläne sind längst Makulatur

Die Dienstpläne, die üblicherweise zwei Monate im Voraus geplant werden, sind nach Aussage von Klinikgeschäftsführer Jörn Wessel längst Makulatur und wurden schon mehrmals umgeschrieben. Zwar sind nicht zwingend notwendige Operationen verschoben, doch die aktuelle Entwicklung mit den vielen Corona-Infizierten lässt jegliche Planung schnell veralten. „Die Lage spitzt sich zu, wir haben auch zunehmend Covid-Fälle bei Personal“, sagt Wessel. Glücklicherweise habe es bislang nur wenige Infektionen im Haus gegeben.

Die Klinik hat seinen Angaben zufolge seit dem Frühjahr enorm aufgerüstet bei der Schutzkleidung, jeder vom Personal bekommt FFP2-Masken. „Jetzt im Dezember merkt man, die Einschläge kommen näher“, sagt Pflegedirektor Thorsten Witt, „Immer mehr Kollegen sind durch Quarantäne betroffen. Es ändert sich immer was im Dienstplan.“ Damit müsse man behutsam umgehen, „denn wir müssen ja noch sehr lange durchhalten“, sagt Witt.

Krisenstab der Klinik tagt regelmäßig

Den ersten Krankheitsfall hatte es im Agaplesion bereits am 9. März, am Montag der zweiten Skiferienwoche, gegeben, das wissen alle noch recht genau. Eine Mitarbeiterin hatte sich bei ihrem Mann angesteckt, der zuvor bei einer Tagung war. „Wir haben sofort eine Station zur Infektionsstation gemacht“, sagt Wessel, „und seither die Intensivkapazität ausgebaut und die Zahl der Beatmungsbetten erweitert.“

Wie schon zu Beginn der Pandemie im März tagt der Krisenstab der Klinik regelmäßig mit den wichtigsten Abteilungen. „Wir haben die Intensivkapazität ausgebaut und die Zahl der Beatmungsbetten erweitert“, sagt Wessel. Derzeit liegen zwölf Corona-Patienten im Agaplesion Klinikum mit seinen 390 Betten, doch Wessel erwartet mehr Aufnahmen. „Wir waren bisher nicht in der ersten Linie für die Coronaversorgung, aber die Stadt hat uns jetzt Anfang der Woche angeschrieben“, sagt der Geschäftsführer.

Jeder Patient wird vor der Aufnahme regelhaft getestet

Jeder Patient wird vor der Aufnahme regelhaft getestet. „Es gibt immer wieder Patienten, die kommen mit etwas anderem, und dann stellen wir fest, dass sie Corona haben“, sagt Wessel. „Wir machen bei jedem Patienten einen PCRTest und bei einem Verdacht ziehen wir zusätzlich einen Antigentest vor“, präzisiert Prof. Dr. Andreas de Weerth, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin. „In den ersten 24 Stunden behandeln wir Patienten so, als hätten sie Corona.“ 1000 Mitarbeiter kümmern sich nach Angaben von Geschäftsführer Jörn Wessel jedes Jahr um 20.000 stationäre und 25.000 ambulante Patienten.

Viele davon werden zuerst bei Judith Röder in der Notaufnahme vorstellig. Die 45-Jährige leitet die Abteilung. „Wir trennen gleich am Eingang und haben zwei Bereiche“, erklärt sie. Wer mit Corona-Symptomen kommt, wird gleich isoliert in einem Bereich untergebracht. Doch die Pandemie hat auch bei der Notaufnahme etwas verändert: „Es gibt nicht mehr so viele Selbsteinweisungen, die Leute meiden das Krankenhaus, das merken wir“, sagt Judith Röder.

Derzeit liegen neun Infizierte auf der Isolierstation

Der Rückgang sei allerdings weniger drastisch als bei der ersten Coronawelle, sagt sie, damals habe es noch mehr Ängste gegeben. Die Leiterin der Notaufnahme hat in diesem Jahr frei, sagt sie. Sie kann mit ihrem siebenjährigen Sohn feiern. Aber sie hatte ja im letzten Jahr Weihnachtsdienst. Wer Weihnachten frei hat, hat dafür über Silvester üblicherweise Dienst. Der Empfangstresen ist der Notaufnahme ist ebenfalls üppig mit Lichterketten geschmückt. „Das haben die Pflegekräfte gemacht“, sagt Röder, „wie um Corona zu trotzen“. Hinter einer Scheibe sitzt Toni Fox.

Der 34-jährige Krankenpfleger arbeitet seit zehn Jahren hier in der Notaufnahme und organisiert an diesem Tag die Patientenaufnahme, verteilt die Neuankömmlinge auf die Zimmer, nimmt Anrufe entgegen und ist für alle Kollegen ansprechbar. An den Weihnachtstagen ist er zu einem Nachtdienst eingeteilt. Seine Kollegin Birgit Farnbacher versorgt gerade eine Frau, die die Notaufnahme betritt, mit einer frischen Gesichtsmaske. Man wisse ja nie, wie lange die Menschen ihre schon tragen, sagt sie. Sie strahlt viel Ruhe aus: „Wir hatten schon Vogelgrippen, Ehec, Influenzawellen. Wir sind das gewöhnt“, sagt sie gelassen. Farnbacher arbeitet seit elf Jahren in der Notaufnahme. Antje Holst, Leiterin der Intensivstation und internistische Oberärztin, ist gerade auf dem Weg zur Krisensitzung.

Abteilungen wie ihre sind es, die derzeit im Blickpunkt stehen, weil ihre Belastung steigt, je mehr Infizierte es gibt. Bei Holst und ihren Kollegen landen mit einer gewissen Verzögerung die schwer an Sars-Cov-2 Erkrankten. Derzeit liegen neun Infizierte auf der Isolierstation, drei auf der Intensivstation. „Wir haben zehn Beatmungsplätze und können auf 16 hochfahren“, sagt Antje Holst. Zur Zeit habe gebe es noch genug Personal, aber das könne sich schnell ändern. Zu Weihnachten wird sie „außer einem Essen mit der Familie“ keine Zeit für Privates haben, so Holst.

Besuchsverbot ist nötig

„Es ist schon verschärft“, sagt die 44-Jährige, die die Intensivstation seit sechs Jahren leitet, über die aktuelle Situation. Für ihre Patienten sei es kein großes Thema, dass sie die Festtage im Krankenhaus verbringen müssen, betont die Leiterin der Intensivstation. Für jemanden, der gerade um sein Leben ringt, gibt es offenbar Wichtigeres: „Um Weihnachten hat sich noch kein Patient geschert, die Frage wird nicht gestellt“, sagt Holst. Für viele Patienten, die nicht lebensbedrohlich erkrankt sind, ist das Besuchsverbot, das auch im Agaplesion herrscht, jedoch sehr bitter. „Natürlich bricht es uns das Herz“, sagt der Ärztliche Direktor emotional. „Familie und Angehörige sind für die Heilung von Bedeutung, das ist uns bewusst. Aber das Besuchsverbot ist nötig, weil wir wissen, dass die meisten Infektionen von außen hereingetragen werden. Wir wollen die Kranken schützen“, sagt de Weerth.

Vor allem weil es in dem evangelischen Krankenhaus eine große geriatrische Abteilung gibt, aber auch zum Schutz der Tumorpatienten.Ausnahmen macht die Klinik für werdende Väter. „Sie dürfen zur Geburt kommen“, sagt de Weerth. Auch in Familienzimmern dürfen die jungen Eltern mit ihrem Nachwuchs wohnen, die Väter werden auch auf Corona getestet. „Wir machen auch Ausnahmen für Sterbende“, sagt de Weerth.

Bei manchen Menschen kommt der Tod unvermittelt

Allerdings komme bei manchen Menschen der Tod unvermittelt, dann sei es nicht möglich, dass sich Angehörige am Sterbebett verabschieden. Annamaria Ross hat als Krankenhausseelsorgerin viel Kontakt mit den Patienten. „Ich bin viel bei geriatrischen Patienten, weil sie sehr allein sind“, sagt die Pastorin. Aber auch für Langzeitpatienten oder Menschen, die gerade eine ganz schwere Diagnose bekommen haben, sei sie häufig eine wichtige Gesprächspartnerin. „Ruhig sitzen und zuhören, darum geht es“, sagt die Seelsorgerin. „Ich gehe auch oft durch das Haus und viele Gespräche ergeben sich auch in den Korridoren“, sagt Ross. Heiligabend um 15 Uhr wird im hauseigenen Kanal 49 eine Andacht übertragen.

Der Raum der Stille im Erdgeschoss wäre nicht groß genug für mehr als ein paar Menschen. Und jeder Patient bekommt eine Weihnachtskarte vom Haus an das Bett Auf den beiden internistischen Stationen von Katrin Kopplin-Förtsch wurden noch einige Patienten in dieser Woche verlassen. „Hier sind die Liegezeiten mit fünf bis sechs Tagen eher kurz“, sagt die 57-jährige Stationsleiterin. Schwester Katrin, wie sie sich selbst vorstellt, sorgt sich um ihr Personal, das drei Schichten sieben Tage die Woche besetzen muss. Sie müsse häufig Mitarbeiter an andere Stationen abgeben, sagt sie. „Wenn man die Leute jeden dritten Tag fragt, ob sie auf eine andere Station gehen, muss man das mit Fingerspitzengefühl machen“, sagt Kopplin-Förtsch.

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Viele hätten sich ja bewusst für eine bestimmte Abteilung entschieden, da seien ständige Wechsel schwierig. Gewisse Anforderungen in dem Beruf seien dagegen normal: „Man entscheidet sich ja für diesen Beruf, dazu gehören eben auch Schichten nachts und am Wochenende.“ Geschäftsführer Wessel hat mit Katarzyna Buck aus der Personalabteilung in den Tagen vor Heiligabend jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin persönlich eine kleine Geschenketüte überreicht. „Sonst gibt es immer eine große Weihnachtsfeier im Gemeindesaal der Christuskirche,“, sagt Wessel, aber die fiel natürlich in diesem Jahr aus. Dafür bekommt jeder einen Porzellan-Becher samt Deckel mit der Aufschrift „Danke für 2020“. Der Dank der Patienten, die über die Weihnachtstage liebevoll versorgt werden, dürfte ihnen auch gewiss sein.

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