Hamburg. Weil es unter den vorgeschriebenen Abstandsregeln im Training zu eng wurde, zog die Lateinformation kurzerhand in ein neues Heim.

Die Stimme von Franziska Becker schwankt am Telefon zwischen Euphorie und Ernüchterung. Was nicht überrascht angesichts der Berg-und-Talfahrt, die die Tanzsporttrainerin mit ihrem Team, der Bundesliga-Lateinformation von Blau-Weiss Buchholz, in diesem Jahr hinter sich gebracht hat.

Eine Fahrt, die sicher vergleichbar ist mit anderen Amateur-Sportarten, die nun bereits ihren zweiten Lockdown erleben. Den ersten füllten sie mit Online-Trainings und Abstandsregeln, bis sie zu alter Form zurückfanden. Aber die Buchholzer Tänzer fanden im Corona-Sommer 2020 noch etwas anderes: eine neue sportliche Heimat.

Der Verein tanzt jetzt in einem leerstehenden Baumarkt

Es ist eine Entwicklung, die sich Anfang des Jahres niemand in Buchholz hätte ernsthaft vorstellen können: Dass die Lateinformation des Vereins mitten im vermaledeiten Corona-Jahr einen Sechser im Lotto landet – auf 6000 Quadratmetern in einem leerstehenden Baumarkt. „Auf einen Schlag hatten wir Trainingsmöglichkeiten, von denen wir immer geträumt haben“, sagt Franziska Becker und klingt fast euphorisch. „Die Flächen für die Tänzer sind riesig, die Belüftung ist optimal, so gute Bedingungen hatten wir noch nie.“ Umso größer sei die Enttäuschung, dass das Training nun schon wieder unterbrochen werde. „Das schmerzt natürlich doppelt“, sagt die Formationsspezialistin.

Es war die Idee der Kunstturner, in Buchholz im Sommer eine neue Bleibe für die Sportarten zu suchen, die einen speziellen Bodenbelag für ihre Übungseinheiten brauchen – und mitunter auch ein wenig mehr Abstand. Die Abteilung für Kunst- und Aerobicturnen stellte den Kontakt zum Plaza-Baumarkt her. Die Vereinsführung übernahm, auch die Stadt Buchholz unterstützte die Sportler. Ein Jahr lang können sie die Räume nutzen. Die Eigentümer kamen dem Verein maximal entgegen. Nicht einmal Miete muss Blau-Weiss für die 6000 Quadratmeter zahlen.

Wie es für den Formationstanz in der Bundesliga weitergeht, ist nicht wirklich geklärt

Von einem veritablen Leistungszentrum schwärmt Franziska Becker, das man sich innerhalb kürzester Zeit aus dem Boden gestampft habe. „Als wir gesehen haben, was in diesem Gebäude alles möglich war, haben wir einfach Vollgas gegeben“, erzählt Becker. „Wir sind spontan nach Nürnberg gefahren, haben einen Parkettboden abgeholt, den wir online günstig geschossen haben. Und beim Umbau haben alle mit angepackt, das war wirklich großartig.“ Nicht nur die Tänzer, die ihren eigenen Boden verlegten, hämmerten und malten. Auch die Turner und Kampfsportler, alle gemeinsam. Voller Respekt erzählt die Tanzlehrerin aus dieser Zeit: „Da haben sich alle mit Herz und Seele reingegeben. Die schaffen es einfach, die Dinge so für sich anzunehmen und das Beste draus zu machen.“

Lesen Sie auch: Formationstanz auf Abstand, Training auf Zoom

Wie es für den Formationstanz in der Bundesliga weitergeht, ist wie schon im ersten Lockdown nicht wirklich geklärt. Die Hoffnung auf eine Ausnahmegenehmigung, mit der zumindest die Bundeskaderathleten in der Halle hätten trainieren können, zerschlug sich am Mittwochvormittag. „Unsere Konkurrenten aus Bremen und Baden-Württemberg haben diese Genehmigungen erhalten“, sagt Becker und seufzt. An den deutschen Meisterschaften Mitte Dezember halte der Deutsche Tanzsportverband noch immer fest. Im Januar soll die Bundesligasaison beginnen. Aber wenn das eine Team trainieren konnte und das andere nicht – kann es dann überhaupt ein fairer Wettkampf sein?

„Es sind schwierige Bedingungen. Und auch, wenn wir die Maßnahmen natürlich voll und ganz mittragen, so zehren diese Monate an mir, an uns allen“, sagt Becker. „Aber was soll’s, natürlich machen wir weiter. Wir sind am Ende ja doch alle Stehaufmännchen.“