Quickborn. Kommunist Paul Warnecke wurde 1933 von SA-Schergen in einem Birkenwäldchen ermordet. Kam der Schuss von vorn oder von hinten?

Ist dem ersten NS-Opfer Quickborns zum zweiten Mal posthum Unrecht getan worden? Diese Ansicht vertritt Jürgen Hühnke. Der frühere Studiendirektor und Geschichtslehrer ist Autor zahlreicher Berichte über die Quickborner Heimatgeschichte. So sei die Ermordung Paul Warneckes durch SA-Schergen am 5. März 1933 auf der Erinnerungs-Stele, die im Juni in der Nähe des Tatorts im Birkenwäldchen aufgestellt wurde, nicht richtig dargestellt. Hühnke fordert eine Richtigstellung durch die Stadt. Der Sozialwissenschaftler Jörg Penning, der seine Examensarbeit über die NS-Zeit Quickborns geschrieben hat, bleibt hingegen bei seiner Darstellung.

Bei diesem Streit der Heimat-Historiker geht es darum, wie der junge Kommunist Warnecke in der Nacht vor der letzten, bereits von den Nazis manipulierten Reichstagswahl zu Tode kam: Ist er hinterrücks auf der Flucht erschossen worden, wie Penning es bei der offiziellen Einweihung der Stele erklärt hat und wie es aus einem damaligen Zeitungsbericht überliefert ist? Darin heißt es unter der lapidaren Überschrift „Kommunist erschossen“: „Ein Kommunist, der verhaftet werden sollte, ergriff die Flucht und wurde bei der aufgenommenen Verfolgung erschossen.“

„Flucht-Lüge“ der Nazi-Propaganda sei Fakt geworden

Das sei so aber nicht richtig und würde die „Flucht-Lüge“ der Nazi-Propaganda zu einem historischen Fakt verbrämen, kritisiert der Historiker und Heimatforscher Hühnke. Er hat dies auch in einem Brief an die Stadtverwaltung und alle Ratsmitglieder Quickborns ausführlich beschrieben. So würde diese Darstellung dem gemeuchelten Warnecke noch über seinen Tod hinaus „Ehrenrühriges nachrufen“. Nämlich dass er, als er mit seinen Freunden in den nächtlichen Hinterhalt geriet, ein Feigling gewesen und weggelaufen sei und deshalb womöglich seinen Tod verdient hätte, kritisiert Hühnke. Der junge Mann sei aber vom SA-Mann Jeske, der bei einer Wach- und Schließgesellschaft arbeitete, mit dessen Dienstwaffe aus nächster Nähe in die Brust geschossen worden.

Hühnke beruft sich dabei als Quelle auf einen Polizeibericht vom Tag der Ermordung, wie er im Landesarchiv zu finden und nachzulesen sei. Demnach meldete ein gewisser Landjäger-Oberleutnant Schwieger an jenem 5. März fernmündlich an seine Vorgesetzten, dass die Leiche Warneckes erst auf Nachforschung gefunden worden sei und dass das Opfer eine Brustverletzung aufgewiesen hätte.

Hühnke will die Art des Todes zu 100 Prozent aufklären

Dieser Zeitungsbericht erschien kurz nach der Ermordung.
Dieser Zeitungsbericht erschien kurz nach der Ermordung. © Burkhard Fuchs Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Neben der historischen Genauigkeit geht es Hühnke vor allem auch darum, dass einem Menschen nach seinem Tod nichts Schlechtes und vor allem kein falscher Todeshergang nachgesagt werden dürfe. „Die Art seines Todes muss außer Zweifel sein“, betont er. Zumal die Stadtväter Quickborns ihrem ersten NS-Opfer und seinen Angehörigen in Quickborn schon einmal übel mitspielten. Denn im Jahre 1946, ein Jahr nach dem Krieg und dem Nazi-Terror, beschloss der damalige Gemeinderat der Gemeinde Quickborn, dass der Tatort im Birkenwäldchen, das nach dem SA-Sturmführer Horst Wessel benannt war, in Paul-Warnecke-Platz umzubenennen. Doch dieser Ratsbeschluss ist nie umgesetzt worden. Eine Initiative vor ein paar Jahren, die forderte dies nachzuholen, scheiterte im Rat an den Stimmen von CDU und FDP.

Penning bleibt dagegen bei seiner Darstellung, dass die Stele nicht überarbeitet werden müsse. Für den Förderverein des Henri-Goldstein-Hauses, der nach einem jüdisch-belgischen Gefangenen aus dem Quickborner Himmelmoor benannt ist, hat Penning die Geschehnisse dieser Nacht des Meuchelmordes mit zahlreichen Textpassagen auf der Erinnerungsstele für Warnecke historisch aufgearbeitet.

Analyse beruht auf Aussagen aus dem Gerichtsprozess 1946

Dabei habe er sich vor allem auf die Aussagen der Zeugen und der Staatsanwaltschaft berufen, wie sie in dem Gerichtsprozess 1946 gegen den Mörder Jeske vorgetragen worden seien. In dem wurde dieser später zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, wovon er nach fünf Jahren begnadigt wurde.

Diese Quellen fänden sich ebenfalls im Landesarchiv und beschrieben, dass das Opfer Warnecke eine Schussverletzung am Rücken aufwies und die tödliche Kugel, nachdem sie den Körper durchdrungen hatte, offenbar durch die Brust wieder heraustrat, erklärt Penning. „Angesichts der verschiedenen Darstellungen des Tathergangs und meiner Quelleanalyse ist das für mich die plausibelste Hergang der Ereignisse“, argumentiert Penning. Ob in Rücken oder Brust getroffen – an der Tatsache der feigen Ermordung Warneckes ändere das ohnehin nichts, findet Penning.

Auf der Homepage des Vereins Spurensuche, – zu finden im Internet unter www.spurensuche-kreis-pinneberg.de – auf die durch einen sogenannten QR-Code auf die Stele hingewiesen wird und so auf das Smartphone heruntergeladen werden kann, wird die die Ermordung Warneckes ausführlich beschrieben. Darin sei die zweite Todesvariante in einer der 100 Anmerkungen am Ende des Textes auch erwähnt, erläutert Penning. So heißt es in der Anmerkung 35, die sich auf die Passage „Tödlich im Rücken getroffen fiel der 19-jährige Paul Warnecke zu Boden“ bezieht: „Der Landrat Duwigneau berichtete den Regierungspräsidenten in Schleswig von einem Brustschuss.“

Stelen-Autor Penning will nach seinem Urlaub der Quickborner Ratsversammlung diese Erklärungen auch noch einmal ausführlich erläutern. Hühnke wiederum bleibt bei seiner Kritik.