Hamburg. Das Haus besitzt Kleider der größten Designer, darunter wahre Raritäten. Einige Teile brauchen einen besonderen Lagerort.

Was als Traum in Seide, als Revolte gegen spießige Dresscodes oder als neongelbes Experiment begann, landet im Idealfall im Museum. Dort kann es die Zeiten und mit Glück sogar die Jahrhunderte überdauern und als Kulturgut in die Geschichte eingehen. Die Mode- und Textilsammlung des Museums für Kunst und Gewerbe (MKG) umfasst rund 30.000 Stücke. Die Hälfte davon gilt als Mode, inklusive Strümpfen, Miedern, Gürteln und Schuhen, die andere als Textilien. Angelika Riley, die seit fast 30 Jahren am Haus ist, wacht seit 2007 über dieses Reich der Körperverhüllungen.

Sind die Stücke noch gut erhalten, hat Riley sie in Schränken auf Bügeln aufgehängt. Die älteren oder empfindlicheren Teile liegen in lange, säurefreie Archivkartons verpackt, zwischen Lagen von Seidenpapier, geschützt vor Motten, Sonnenlicht und Feuchtigkeit. Begleitend zur aktuellen „Tiere“-Ausstellung wird im MKG zur Zeit auch etwas Mode präsentiert, etwa ein klassischer Kurzmantel aus echtem Leopardenfell, Kleidung aus falschem Pelz oder ein Jäckchen aus Papageienfedern von Jean-Paul Gaultier. Die Modesammlung des MKG ist im Ausstellungskontext eigentlich immer irgendwo vertreten.

Neuzugang: das Stundenglas- Korsett der  Designerin Marina Hoermanseder
Neuzugang: das Stundenglas- Korsett der Designerin Marina Hoermanseder © Stefan Armbruster

Die Objekte sind „eher Skulpturen als Klamotten“

Es war im Jahre 1878, als der erste Direktor des Hauses, Justus Brinck­mann, auch das erste Stück Mode erwarb: eine zierliche weiße Herrenweste, bestickt mit Gräsern und Blättern, damals hundert Jahre alt, und heute eine Rarität. Noch einige weit prächtigere, reich bestickte Fräcke veranschaulichen, wie schmuckfreudig sich die feinen, meist adeligen Herren im Rokoko zu kleiden pflegten. Angelika Riley hütet sie wie ihren Augapfel. Einige davon sind vom Zerfall bedroht, besonders die Futterstoffe.

Doch auf historischen Kleidern wie diesen liegt derzeit nicht das Augenmerk der Museumsleitung, die wären auch kaum bezahlbar. Vielmehr konzentriert sich das Interesse von Direktorin Sabine Schulze und Angelika Riley auf zeitgenössische Mode, die von der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen in den vergangenen zehn Jahren üppig erworben wurde, um sie dem Haus als Dauerleihgaben zur Verfügung zu stellen – fast 200 „Positionen“, vieles ist mehrteilig.

Schenkungen sind ein Glücksfall für das Haus

„Für mich bietet die Mode eine besondere Chance, das Selbstbild einer Epoche zu spiegeln“, sagt Direktorin ­Sabine Schulze. „Wie wir uns kleiden verrät viel über das Selbstverständnis, über das Verhältnis zum Körper und natürlich der Geschlechter zueinander.“ Nicht alles, was für die Modeabteilung erworben werde, sei im Alltag tragbar: „Die Designer gehen an die Grenzen und zeigen Extreme. Für uns als Museum sind diese Objekte besonders interessant, sie sind eher Skulpturen als Klamotten.“ Kein anderes Museum in Deutschland habe die Möglichkeit, Mode mithilfe einer Stiftung anzukaufen.

Für Arndt Klippgen, Vorsitzender der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen, ist es „wichtig, dass diese Sammlung unter den fünf wichtigsten Modesammlungen Europas ist, und dass dieser Schwerpunkt ausgebaut wird.“ Gerade hat die Stiftung ein rotes, amphorenartig steifes Lederkleid der österreichischen Modedesignerin Marina Hoermanseder erworben – und ein ausladendes, skulpturales Fantasiekleid von der Japanerin Rei Kawabuko, die seit 1969 das Label Comme des Garçons führt.

Bei den Naturmaterialien früherer Zeiten sind die konservatorischen Pro­bleme und Methoden bekannt, nicht aber bei allem, was seit etwa 120 Jahren hergestellt wird. Ein sehr elegantes Jugendstilkleid zum Beispiel wurde dem Museum von privat vermacht, inklusive zweier historischer Fotos einer Frau mit ihren drei kleinen Kindern, auf dem sie dieses mehrlagige, lindgrüne Seidenchiffonkleid trägt – mit Spitzen, Borten und Perlen geschmückt. Die Seide sei damals mit Metallsalzen behandelt worden, weshalb sie im 21. Jahrhundert angegriffen sei, so Riley.

Schenkungen sind, wenn die Stücke interessant genug sind, ein Glücksfall für das Haus. Alles Weitere wird idealerweise bei Designern direkt gekauft, auf Auktionen, von Sammlern oder, auch das, im Einzelhandel.

Nicht alltagstauglich, aber in jeder Hinsicht interessant

Im MKG ist man also am Puls der Zeit, wenn auch nicht ausschließlich, denn „als Weiterführung der Sammlung kaufen wir auch Modelle von Chanel, Dior, Yves Saint Laurent, Courrèges oder Alexander McQueen“. Als Museumsfrau sagt Angelika Riley wenig überraschend: „Ich denke natürlich in Ausstellungen.“ Als etwa die Schau „Sports/No Sports“ vorbereitet wurde, konnte ein witziges schwarzes Paillettenkleid von Tom Ford erworben werden – mit einer sportlermäßig riesigen Nummer auf der Brust oder ein sogenanntes „Glitch-Dress“, also ein Kleid im Look vielfach belichteter fotografischer Strukturen der ­niederländischen Designerin Iris van Herpen.

Was von jungen Designern hinzukommt, darf also experimentell sein, gern auch avantgardistischer als Tom Ford. Futuristisch gehen junge Designer wie Walter van Beirendonck vor, dessen knallbunte Herrenmode-Kreationen einem Comicheft entsprungen scheinen. Stolz präsentiert Angelika Riley außerdem drei Modelle aus der Modeschmiede des Kanadiers Devon Halfnight Leflufy. Überhaupt nicht alltagstauglich, aber in jeder Hinsicht inter­essant.

Für einen steifen Mantel ließ Leflufy in Neonfarben in alter Manier und sehr aufwendig einen Jacquardstoff ­weben, der Schriftzug „Hollywood“ läuft über den Bauch. Außerdem stammt von ihm ein Mantel, dessen unterer Teil aus festem Leder durch einen sogenannten Laser-Cut durchbrochen ist – wie der Scherenschnitt eines Palmenwaldes. Die Modemacher der Gegenwart, die Aufmerksamkeit wollen, achten vor allem auf Innovation und erobern Terrains, die vor ihnen möglichst niemand betreten hat. Der Kunst kommen sie dadurch immer ­näher, und damit auch der Aussicht ­darauf, ins Museum zu gelangen.