Hamburg. Eigentlich hatte Ulrich T. sich ins Herz schießen wollen. Anklage wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz.

Am Ende war die Verzweiflung einfach überwältigend. Der betagte Mann konnte nicht mehr. Innerlich gebrochen saß der 74-Jährige auf der Bettkante, entschlossen, seinem Leben nunmehr ein Ende zu bereiten. Er schrieb einen Abschiedsbrief. Dann holte er seine Pistole hervor, die er 20 Jahre zuvor gekauft hatte, und begann sie zu laden, um endgültig Schluss zu haben. Doch beim Hantieren mit der Waffe löste sich ein Schuss – und traf ihn in der Hand. Eigentlich hatte Ulrich T. (Name geändert) sich ins Herz schießen wollen.

Er hätte die Pistole nun erneut ansetzen können, an der Brust oder am Kopf vielleicht, und noch einmal abdrücken. Oder er hätte einfach abwarten können, ob er durch den Blutverlust immer schwächer wird und stirbt. Doch Schock, Schmerz und das viele Blut, das aus seiner Hand strömte, führten zu einer anderen Reaktion. Der schwer verletzte Ulrich T. bemühte sich um Hilfe. Er klingelte bei seiner Nachbarin, einer Krankenschwester, die ihm einen Druckverband anlegte. Dann alarmierte die Frau die Polizei, die die Pistole sicherstellte.

Vier Monate ist der verhängnisvolle Tag her

Gut vier Monate sind seit dem Suizidversuch von Ulrich T. verstrichen. Eine Zeit, in der für den Mann, der nicht mehr leben wollte, eine weitere Belastung hinzugekommen ist: Weil er ohne die erforderliche Genehmigung eine Schusswaffe besaß und benutzte, hat die Staats-anwaltschaft gegen den Hamburger Anklage wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz erhoben, über die nun vor dem Amtsgericht verhandelt werden soll.

Bedrückt wirkt der 74-Jährige, ein sehr schlanker, weißhaariger Mann mit beängstigend blassem Gesicht, neben sich seine Tochter, die mittlerweile die Betreuerin ihres Vaters ist, dem eine beginnende Demenz attestiert wurde. Im Prozess sagt Ulrich T. nicht viel. Seinen Ärzten in einer Klinik, in der er nach seiner Verzweiflungstat wegen Depressionen behandelt wurde, hat der Mann viel mehr erzählt. Ihnen hat der Rentner geschildert, was ihn so sehr belastet, dass er sich das Leben nehmen wollte: Vor gut 20 Jahren starben auf einer Baustelle, auf der er als Bauingenieur die Verantwortung trug, mehrere Männer bei einem Unglück. Von diesem Trauma hat sich Ulrich T. nie wirklich erholt.

„Ich betrachte den Tod als Erlösung“

Später musste er miterleben, wie seine Mutter und dann auch seine Schwester an Alzheimer erkrankten und starben. Nun befürchtet er, dass auch ihn diese furchtbare Krankheit treffen könne. „Ich habe nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnt“, sagte der Mann den Ärzten. Und er bedauere, „dass der Suizid nicht geklappt hat“. Ähnlich entschlossen hatte auch der Duktus in seinem Abschiedsbrief gewirkt. Darin regelte er auch, dass seine Tochter alles erben solle. Und dann heißt es da noch: „Ich betrachte den Tod als Erlösung.“

Mittlerweile aber gibt es für Ulrich T. wohl doch einen kleinen Funken Hoffnung. Die therapeutische Behandlung läuft, und der Hamburger hat wieder intensiver zu seiner Tochter gefunden, die ihn unterstützt, wo sie nur kann – so wie sie auch jetzt an seiner Seite ist und ihm die Hand hält. Und ein Platz in einer Einrichtung für betreutes Wohnen soll gefunden werden.

Ulrich T. hat gegen Waffengesetz verstoßen

Doch da ist noch das Problem des Strafverfahrens. Ulrich T. habe in der Tat gegen das Waffengesetz verstoßen, stellt die Amtsrichterin fest. „Andere hätten für den Suizidversuch vielleicht ein Messer genommen oder Tabletten. Sie aber hatten die Pistole.“ Weil die Schuld des Angeklagten allerdings als gering anzusehen und die Tat „Ausdruck einer schweren Lebenskrise und eines tiefen Unglücks ist“, überlegt die Amtsrichterin, könne man eine Einstellung des Verfahrens für den nicht vorbestraften Hamburger erwägen. Die Waffe und die Munition sind ohnehin beschlagnahmt, und Ulrich T. will auch nichts unternehmen, um sie wiederzubekommen. Auch die Staatsanwaltschaft hält eine Einstellung des Verfahrens für einen gangbaren Weg.

Abendblatt-Gerichtsreporterin
Bettina
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schreibt jede
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Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall © HA | Andreas Laible

Als die Tochter von Ulrich T. begreift, dass ihr Vater ohne Strafe bleiben wird, bricht sie vor Erleichterung in Tränen aus. Der 74-Jährige selber braucht etwas länger, bis er versteht, dass ihm kein weiteres juristisches Ungemach droht. „Das Strafverfahren ist beendet. Sie können sich jetzt anderen Problemen zuwenden“, ermuntert die Richterin ihn noch. Ulrich T. mag es nicht fassen. „Ich kriege keine Strafe?“ vergewissert er sich unsicher. „Nichts?“ Die Richterin nickt. Nun ist der Rentner beruhigt und lächelt. „Dann ist es ja jetzt gut.“ Man möchte glauben, dass Ulrich T. mehr meint als ein glimpfliches Ende seines Prozesses.