Hamburg. Fertigsalate, Sandwiches und Sushi werden für Lebensmittelhändler immer wichtiger. Auch die Billig-Discounter ziehen nach.

Ein Supermarkt in einer Großstadt ist ein Abbild des Wandels in der Gesellschaft: Der klassische Großeinkauf für die Familie wird seltener, denn in Deutschland nimmt der Anteil der älteren Menschen und der Alleinstehenden zu – nur noch in jedem zweiten Haushalt wird täglich Essen selbst zubereitet. Dafür wollen die Kunden immer häufiger den schnellen Snack zwischendurch. Aber gesund soll er sein, denn gleichzeitig steigt das Ernährungsbewusstsein. So nehmen komplett zubereitetes Gemüse, geschnittenes und gewaschenes Obst, mundgerechte Salate, Sandwiches, Wraps, Sushi, frisch belegte Pizzen sowie Milchshakes und Smoothies in den Filialen der Supermarktketten immer größeren Raum ein – zulasten der immer weniger gefragten Tiefkühlkost.

Trend geht zu fertigen Kühlprodukten

Zwar gehören sogenannte Convenience-Produkte (englisch für: Bequemlichkeit, Komfort) wie haltbar gemachte Fertiggerichte schon seit Jahrzehnten zum gewohnten Bild in den Supermärkten. Zum neuen Ultrafrische-Sortiment zählen dagegen verzehrfertige Waren, von denen viele in einem Temperaturbereich zwischen zwei und sieben Grad gekühlt werden müssen.

„Obst wie zum Beispiel Melonen oder Ananas in Scheiben oder mundgerechten Stücken bereitet unser eigenes Personal in der Filiale zu“, sagt Patrick Skwierawski, Leiter des Edeka Schlemmer-Markts im Hanse-Viertel. „Frische Convenience-Produkte haben in unserem Sortiment eine immer größere Bedeutung.“ Der von Skwierawski geleitete Markt gehört zur Struve-Gruppe, dem mit zwölf Standorten größten selbstständigen Edeka-Händler der Hansestadt.

Obst wird fertig geschnitten angeboten

„In Innenstadtlagen ist das Ultrafrisch-Segment für uns enorm wichtig, aber auch überall da, wo Schulen oder viele Büros in der Nähe sind“, sagt Geschäftsführer Robin Struve: „Wir bauen diesen Produktbereich auf jeden Fall weiter aus.“ In Märkten von Struve gehört inzwischen auch ein Imbiss-Bereich dazu, in dem die Kunden unter anderem Frikadellen und Schnitzel verzehren können. „Derzeit gibt es in neun Filialen eine Sushi-Bar, in der das Sushi laufend frisch zubereitet wird“, so Robin Struve. Anfang nächsten Jahres werde man dieses Angebot auf zehn Standorte ausweiten.

„Der Bereich der frischen Convenience-Produkte ist europaweit eines der am schnellsten wachsenden Segmente im Lebensmitteleinzelhandel“, sagt Branchenexpertin Bianca Casertano von der Einzelhandelsanalyse-Gruppe Planet Retail. Einer Umfrage der HSH Nordbank unter Top-Entscheidern der Ernährungsindustrie zufolge wird das Ultrafrische-Sortiment, das aktuell im Schnitt zwölf Prozent der Ladenflächen beanspruche, schon bis Ende nächsten Jahres auf 21 Prozent der Flächen zulegen. Verlierer seien die Tiefkühl-Convenience-Produkte, deren Flächenanteil von durchschnittlich 36 Prozent auf nur noch 28 Prozent abnehmen werde. Aus der Umfrage geht auch hervor, dass die Verbraucher nach Einschätzung der Unternehmen bereit seien, für die Ultrafrisch-Produkte bis zu 20 Prozent mehr Geld auszugeben als für nicht verzehrfertige Waren.

Andere EU-Länder sind schon weiter

Doch es gab Startschwierigkeiten: „Im Vergleich zu unseren westlichen Nachbarländern verlief die Markteinführung von ultrafrischen Convenience-Produkten in Deutschland eher schleppend“, sagt Tim Muhle, Leiter Ernährungswirtschaft bei der HSH Nordbank. Das dürfte auch mit dem Preis zusammenhängen. Handelsanalystin Bianca Casertano erklärt die Hintergründe: „Es gibt kaum ein Land in Europa, in dem der Lebensmittelhandel so geringe Gewinnmargen erzielt wie in Deutschland.“ Die Kunden hier seien bisher daran gewöhnt gewesen, relativ wenig Geld für den Einkauf von Lebensmitteln auszugeben – „und je weiter diese verarbeitet sind, um so teurer sind sie“.

Vor allem in den Supermärkten größerer britischer und niederländischer Städte sind die Ultrafrische-Produkte sehr viel weiter verbreitet. Dort nehmen sie nicht nur einzelne Regale, sondern ganze Abteilungen ein. Anderswo in Europa finden sich auch Angebote, die in Deutschland noch schwer vorstellbar wären – zum Beispiel Rot- und Weißwein, portioniert in Plastiktrinkgläsern, die wie ein Joghurtbecher mit einer Alufolie verschlossen sind.

Der Vorsprung anderer Länder ist in einzelnen Produktgruppen sehr groß: In Großbritannien sind die Verbraucherausgaben für fertig zubereitetes Gemüse fast achtmal so hoch wie in Deutschland, in den Niederlanden betragen sie das Vierfache und in Frankreich fast das Dreifache – zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI), dem niederländischen Verband GroentenFruit Huis sowie der Hochschule Geisenheim in diesem Jahr erarbeitet wurde.

Für eine gewisse Zurückhaltung der deutschen Verbraucher sorgt der Studie zufolge aber auch die „sehr negative Wahrnehmung“ in der Öffentlichkeit. Geradezu „verheerend“ hätten Veröffentlichungen der Stiftung Warentest (2013) und in „Öko-Test“ (2015) gewirkt, „da solche Zeitschriften beim Leser eine hohe Glaubwürdigkeit besitzen“. In den beiden Untersuchungen der Test-Zeitschriften hatten jeweils etliche Fertigsalate eine Belastung mit Keimen, Schimmelpilzen oder Schadstoffen aufgewiesen.

„Je stärker ein Lebensmittel weiterverarbeitet wird, um so weiter nimmt die Transparenz für die Käufer ab“, sagt dazu Sylvie Ahrens-Urbanek von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Zudem könnten die Anbieter dann durch den Zusatz von Aromen oder Zucker kaschieren, dass womöglich weniger hochwertige Lebensmittel verwendet werden.

Deutsche gelten als umweltbewusster

Nach Einschätzung von Experten gibt es aber noch einen weiteren Grund, warum die Ultrafrisch-Produkte in Deutschland zunächst nur eher zögerlich angenommen wurden: „Die Verbraucher hier sind generell umweltbewusster als die Menschen in anderen europäischen Ländern“, sagt Casertano, auch wenn dies in der jüngeren Generation etwas nachzulassen scheine.

Der Vormarsch des Convenience-Segments stehe jedenfalls eigentlich im Widerspruch zu dem Ziel der Lebensmittelhandelsbranche, die Abfallmengen zu reduzieren. Denn die Fertigsalate, Sandwiches und Sushi-Röllchen werden zumeist in aufwendigen Kunststoff-schachteln verkauft.

„Wir arbeiten massiv am Ersatz von Plastikverpackungen, aber bisher müssen wir sie dafür einsetzen“, sagt Raimund Esser, Sprecher von Rewe. Die Nummer zwei des deutschen Lebensmitteleinzelhandels hinter Edeka hat immer wieder eine Vorreiterrolle eingenommen. So beendete Rewe im Juni den Verkauf von Plastiktüten und hat an derzeit zwölf Standorten – bisher noch nicht in Norddeutschland – separate Shops mit Flächen zwischen 100 und 300 Quadratmeter unter der Marke „Rewe To Go“ mit warmen Gerichten und einem Convenience-Sortiment an Bahnhöfen und in belebten Fußgängerzonen eröffnet.

Doch nicht nur die Verpackungen derartiger Waren werden weggeworfen, sondern wegen der extrem kurzen Haltbarkeit auch die Lebensmittel selbst, wenn sie bis Geschäftsschluss nicht verkauft werden können. Robin Struve sieht darin keine größere Schwierigkeit als bei manchen traditionellen Lebensmitteln wie etwa Hackfleisch: „Die meisten zugelieferten Salate und andere Ultrafrisch-Produkte sind zwei Tage lang haltbar.“ Außerdem zeigten die Kunden Verständnis, wenn Frische-Produkte mit sehr kurzer Haltbarkeit nicht noch am Abend verfügbar seien.

Den Autoren der AMI-Studie zufolge war auch die Furcht vor hohen finazielen Lasten durch nicht mehr verkäufliche Waren gerade in Deutschland angesichts der hier ohnehin geringen Gewinnmargen im Lebensmitteleinzel-handel lange ein Hemmnis für frische Convenience-Produkte.

Auch die Billig-Discounter ziehen nach

Doch der gesellschaftliche Wandel mit einem steigenden Anteil von Doppelverdienern und immer weniger Zeit zum Kochen verhilft ihnen jetzt zum Durchbruch: Längst gibt es selbst bei Discountern wie Aldi und Lidl Frischetheken mit verzehrfertigen Lebensmitteln. Seit April führt Aldi Nord sogar „frische Fertiggerichte“ wie Schweinegulasch Szegediner Art, Grünkohleintopf mit Mettwurst oder Frikadelle vom Rind. Und macht Kantinen Konkurrenz.