Astier de Vilatte aus Paris betreiben den originellsten Luxusbasar Europas. Und wollen jetzt auch in der Hansestadt Hamburg heimisch werden.

Wie riecht wohl Alcatraz? Jene Knastinsel Al Capones in der Bucht vor San Francisco? Keine Frage. Über der geschichtsträchtigen Festung hängt unverändert dieser göttliche Duft nach blondem indischen Tabak: Maté mit Heunoten, geräuchertes Gajak-Holz, würziger Zimt und schwarzer Pfeffer. Welche Gerüche entdeckt man auf einer Duft-Pilgerreise durch Jerusalem? Über Heiligem Grab, Klagemauer und Ölberg wabern vorüber ziehender Kirchenweihrauch, die dunkle und geheimnisvolle Note von Oud-Holz, Zedernholz und Muskat sowie hellere, pflanzliche Noten von Galbanum und Zypresse.

Und worin unterscheidet sich, bitteschön, der olfaktorische Reiz des Pariser Opernhauses zu anderen Musentempeln? Voilà: Prunk im Palais Garnier-Entrechats, Pas de Deux und Ronds de Jambe auf dem prachtvollen, mit Bienenwachs aufpolierten Parkett des großen Saals. Von den Foyers mit ihren üppigen Schnitzereien strömt wie aus Bienenstöcken ein intensives, berauschendes Bienenwachs-Absolue und eine Honignote bis unter das Dach der Oper, wo Sandelholz und Benjoin den Duft sublimieren.

So sehen, imaginieren und kreieren das zumindest die Designer Benoît Astier de Villatte und Ivan Pericoli. Die Pariser haben eine Duftlandkarte der Welt erstellt, ein google-map aus reinem Pflanzenwachs - in blasige Gläser gegossen, bei der Luxus- und Geschenkversion in Weißkeramikbecher. 28 Duftkerzen entführen auf einen Trip rund um die Welt, von Algier bis Neu Delhi, von Babylon bis zur Insel Skye.

Das Kreativ-Duo ist hierzulande ein Geheimptipp der Jäger und Sammler, die das Besondere suchen. Ihre Duftkerzen sind eine Art Markenzeichen, wenngleich die beiden Pariser Ecole des Beaux-Arts-Absolventen für andere „Traum-Objekte“ bekannt sind: Geschirr aus Weißkeramik und Möbel, inspireirt von Pariser Trottoirs und Second-Hand-Läden.

In ihrem liebevoll restaurierten Luxus-Basar in der angesagten Rue Saint-Honoré bieten sie Designerstücke und eine Duftkollektion neben einem gewollt bunten Sammelsurium origineller Fundstücke aus aller Welt an: Fundstücke aus Italien, New York oder Tokio liegen hier neben- und durcheinander; Scherzartikel, Masken, Stereoskope, Moleskine-Hefte, geblümte Bälle, römische Schals, Staubwisch-Handschuhe und Manschettenknöpfe. Das Kozept des Bazars: Retro meets Now. So traumhaft die Karriere von Astier de Vilatte, so schön ist die Geschichte ihres Shopping-Nirwana:

Durch Zufall war Ivan auf das seit vielen Jahren geschlossene „Petit Paris“ gestoßen. Seit 1778 hatte der Laden eine aufregende Geschichte durchlebt. Ursprünglich hatte sich ein einfacher Drechsler und Fächermacher namens Biennais dort niedergelassen und seinen Laden „Singe Violet“ („Lila Affe“) getauft. Er stellte Schreibtafeln her, Spiele für die Damenwelt, Zungenschaber, Elfenbeinkämme und kleinen Holzarbeiten. Nachdem Napoleon einen goldenen Stichel bei ihm bestellte, wurde er dessen offizieller Goldschmied und in der Folge ausschließlicher Lieferant von Reisegepäckstücken der kaiserlichen und königlichen Familie. Nun verarbeitete er feinste Materialien wie Gold, Silber und Vermeil und avancierte zum Star seines Viertels. 1829 schließlich übergab er seine Geschäfte an einen seiner Mitarbeiter.

Viele Jahre später übernahm Monsieur Gilbert, ein Haushaltswarenhändler, den „Singe Violet“ und verwandelt ihn in einen veritablen Basar, „Le Petit Paris“. Ein großer Erfolg, zumal Gilbert oft mit seiner Schürze in der Ladentür stand und den vorübergehenden Damen muntere Worte zuwarf.

Dreißig Jahre vergehen, bis Astier de Villatte im Jahr 2000 diese nunmehr recht heruntergekommene Lokalität übernahm. Sie wollten des genius loci, den besonderen Geist des Hauses mitsamt seiner Schutzengel, wie sie sagen, erhalten. Der Laden wurde liebevoll mit authentischen Materialien renoviert und die Fassade erhielt ihren originalgetreuen dunkelgrünen Anstrich zurück.

Aus einem Kindheitstraum der beiden – „nur so zum Spaß“ – wurde eine Institution für Shopping-Entdecker unserer Tage.

Das Schönste: Astier de Vilatte verhandeln zur Zeit mit Hamburger Geschäften, die ihre Reise-Duftkerzen ins Sortiment aufnehmen wollen. Bis dorthin gilt: Wenn Sie in Paris sind, unbedingt in der Rue St.-Honoré 173 vorbeischauen. Oder einen virtuellen Spaziergang in der fabelhaften Welt der beiden unternehmen: www.astierdevilatte.com

Und weil wir gar so verknallt sind in die Produkte, empfehlen wir als „Versucherle“ die trendigen weißen Radiergummis mit Goldstern-bedruckter Banderole: Das wunderbar weiche Gummi wird in Tokio in den großen Bottichen eines weithin wegen seiner hochwertigen Rohstoffe renommierten Spezialisten hergestellt. Es ist eine Mixtur aus Pflanzenöl, Bimsstein und Plastik. So radiert es sanft, ohne das Papier zu durchlöchern. Der Clou: Das Team von Astier de Villatte hatte die Idee, drei von Parfumeurin Françoise Caron bei Takasago kreierte Düfte einarbeiten zu lassen. Und so landen wir wieder bei einer olfaktorischen Rundreise von Neapel bis Paris.

„Naples“ evoziert Gedanken an ein Stück Pastiera mit einer Tasse Kaffee bei Scaturchio, dem besten Pâtissier von Neapel. Eine Köstlichkeit aus Mandeln, Orangenblüten und Ylang- Ylang, die durch eine erfrischende Petitgrain-Note ihre Leichtigkeit erhält.

„Rue Saint Honoré“ entführt in die Phantasie eines Spätnachmittags – eine Ladentür führt nach draußen auf den Asphalt des alten Paris. Eine Wolke aus Puder, ein paar zarte grüne Noten und ein Akkord von rosa Jasmin verschmelzen auf das Feinste mit dem typischen Duft dieses Viertels nach Leder und Ambra.

„Mantes-la-Jolie“ ist eine Hommage an die Kräuterstände des Marktes der Stadt:

Zitronenminze, grüne, knackige Pflanzen voller Aromen, und dann der unmittelbar erfrischende Duft nach Eukalyptus.

Kurzurlaub – und das nur mit einem wenige Euro teuren Radiergummi.