Was haben ein Silberschmied und eine Köchin gemeinsam? An den Feiertagen furchtbar viel zu tun. Ein Blind Date unter “Leidensgenossen“.

Hamburg. Jonathan Johnson hat gerade eine Ausstellung in seinem neuen Atelier an der Poolstraße eröffnet, Tina Urban bewältigt zur Zeit bis zu fünf Weihnachtsfeiern in einer Woche. Er trägt eine Pistole. Aus Gold. Ein Anhänger an seiner Halskette. Es könnte auch ein güldener Cheeseburger sein. Oliver Pfeiffer alias Jonathan Johnson macht aus Dingen des Alltags Kunst.

Genau wie Tina Urban. Denn sie ist Köchin. Wo sollten sich beiden jungen Kreativen also besser treffen, als in einem Restaurant namens „Juwelier“. „Ich denke sowieso immer ans Essen, wenn ich Schmuck herstelle“, sagt der Goldschmied, das dunkle Haar cool zurückgegelt, der Körper lässig zurückgelehnt. „Wenn ich mich am Ende so fühle, als sitze ich vor einem leckeren Sorbet, dann habe ich alles richtig gemacht.“

Kaltes Eis, heißer Schmuck, der derzeit gerade bei aufstrebenden Hamburger Jungstars angesagt ist – wie passt das denn zusammen? „Wenn ich etwas emailliere, muss ich Metall im Ofen schmelzen. So wie man beim Kochen etwas in die Röhre schiebt“, sagt Johnson sofort. „... nur dass dabei die Temperatur nicht ganz so hoch sein darf“, setzt Tina Urban grinsend nach. Als „Schlemmerfee“ kocht sie Candlelight-Dinner bei ihren Kunden zuhause oder tischt Elbstrand-Gegrilltes bei einem Sommerfest auf. Was dann in einem Happs vom Teller verschwindet. Kulinarische Kunst ist eben vergänglich, Schmuck aber doch für die Ewigkeit.

„Zeitlos ist meine Arbeit aber auch nicht, jedes Schmuckstück ist ein Produkt seiner Zeit“, sagt Johnson und zündet sich eine Zigarette an. Und erzählt von einer Kette mit dem Schriftzug „Lehman-Brothers“. Eine goldene Pleite – und inmitten der Wirtschaftskrise sehr beliebt. Bei Tina Urban, blonder Zopf, cremefarbener Pashmina-Schal, hanseatisch klassisch, muss auch den Trends des Geschmacks kochen. „Andererseits gibt es die deutsche Hausmannskost – die gab es schon immer und die wird es weiter geben. Ich habe manchmal plötzlich Appetit auf Kohlrouladen, einfach weil sie lecker schmecken.“

Aber Stopp, bevor das Gespräch jetzt aussuppt, eine kleine Aufgabe. Mal sehen, wie spontan kreativ dieses Blinddate werden kann.

Werfen wir einen Blick in den aktuellen Katalog des Schmuckdesigners Jonathan Johnson. Seite 3, eine Haarnadel. Frau Urban, welches Gericht fällt Ihnen dazu ein? Sie nimmt einen Schluck Latte Macchiato, überlegt einen Moment. „Ich denke an ein Dessert, an einen Spiegel aus dunkler Schokolade. Es könnte Rosenblüteneis sein, im Hintergrund erkenne ich Krokant. Aber was könnten die hellen Perlen sein?“ Johnson wirft verbal „Zuckerperlen“ in den Raum.

Gut, Prüfung bestanden. Kreativ sind sie beide, erfolgreich auch. Doch verraten sie auch ihr Rezept dafür? Das ist natürlich das Stichwort für Mietköchin Urban, eine der ersten in Deutschland überhaupt. „Man muss unglaublich felxibel sein. Und gerade in den ersten Jahren gilt: Zähne zusammen beißen und durch.“ Jonathan Johnson nickt, schüttelt gleichzeitig den Kopf. „Ich richte mich nicht ultimativ auf Erfolg aus – ich bin besessen von Schmuck. Ich habe etwas gefunden, dass mich komplett ausfüllt, von montags bis sonntags. Mir geht es nicht darum, Reichtümer anzuhäufen.“ Gut, es sei schon ganz schön, wenn der Schmuck dann auch bezahlt werde.

Fragen wir noch einmal nach den Mengenangaben für das Rezept. Nur so zum Nachmachen. Wie viel Kilo Talent, wie viel Gramm Ausbildung braucht man? Johnson zündet sich noch eine Zigarette an. „Es wird einem heute suggeriert, dass man es mit einem Casting zum Superstar schaffen kann. Das ist natürlich Quatsch.“ Ganz solide hat Jonathan Johnson, als er noch Oliver Pfeiffer war, Mitte der 90er Jahre in Pforzheim eine Ausbildung zum Goldschmied gemacht. „Der Chef hat auch mit einen Sägebogen nach mir geworfen und mich angeschrien. Aber, vielleicht hört es sich das jetzt blöd an, Lehrjahre sind nun mal keine Herrenjahre.“

Tina Urban ist dagegen überzeugte Autodidaktin, wuchert mit dem Pfund Leidenschaft. „Ich habe schon meiner Mutter den Kochlöffel aus der Hand genommen. Ich habe es einfach immer gern gemacht.“ Sie ist sicher: Hätte sie die Lehre zur Köchin gemacht, stünde sie heute nicht mehr am Herd. Sie mache den Job eben auf ihre Weise. Inklusive der Freiheit, auch mal einen Auftrag abzulehnen.

Johnson stimmt zu. Im Idealfall müssen Produkt und Kunde zusammenpassen. „Aber man kann nie komplett sagen, ich mache nur das, was ich gut finde. Das wäre vermessen.“ Urban: „Dann müsstest du wirklich Künstler sein und darauf hoffen, dass jemand wenn du tot bist, deine Genialität erkennt.“

Aber natürlich will man auch schon zu Lebzeiten, den eigenen Stil leben – und, na ja, als ein bisschen genial anerkannt werden. „Ich will nicht nur modische Accessoires kreieren, sondern intime Wegbegleiter schaffen, die über Generationen hinweg Bestand haben.“ Ein bisschen sei er wie ein Portraitmaler, der mit einem Ohrring, einem Ring, einem Armband die Persönlichkeit des jeweiligen Kunden unterstreichen.

Tina Urban hat interessiert zugehört, nutzt die Atempause von Jonathan Johnson und schaltet sich ein. „Ich lebe davon, im engsten Wortsinn den Geschmack zu treffen.“ Wenn das klappt, ist sie glücklich. „Das ist mir wichtiger, als irgendwann in Brasilien am Strand zu liegen.“

Am besten ist natürlich beides. Johnson hat gerade einen Laden in der Neustadt eröffnet, in einem ehemaligen italienischen Restaurant. „Zurück zu den Wurzeln“, sagt er und streicht sein dunkles Haar zurück. „Ein Zweig meiner Familie stammt aus Italien, meine Großeltern haben in Karlsruhe ein Restaurant betrieben. Ich werde in meinem Laden da, wo die Küche war, meine Werkstatt einrichten.“ Urban: Ist das nicht groß genug, dass ich da mit rein kann? Ich suche seit zwei Jahren einen Ort für meine Kochschule.“ Johnson: „Das ist doch eine gute Idee. Ja, lass uns doch mal mit dem Vermieter reden.“

Blind Date erfolgreich. Ende des Gesprächs. Anfang einer (Geschäfts-) Freundschaft?

Kurz-Biografien

Martina Urban , 43, genannt Tina und bekannt als „Schlemmerfee“, hat sich im Mai 2003 als Mietköchin selbstständig gemacht. Die gebürtige Hamburgerin, die zuvor lange in der Mode- und Werbebranche tätig war, hat sich damit ihren großen Traum verwirklicht. „Ich bin Köchin aus Leidenschaft“, sagt die Autodidaktin. Ihr Rezept: Mut zum Risiko – und Freude an dem, was man tut. Tina Urban ist als persönliche Privatköchin mittlerweile sehr erfolgreich: Je nach Wunsch bereitet die Eimsbüttelerin für ihre Kunden ein romantisches, italienisches Abendessen aus oder tischt am Elbstrand für eine Party-Gesellschaft mit mehr als 200?Gästen ein orientalisches Buffet auf. Seit vier Jahren bietet Tina Urban in ihrer „Schlemmerschule“ auch Kochkurse an – unter anderem auch „Männerkochkurse“ und Seminare unter dem Titel „Erotic Food“. www.schlemmerfee.de (vas)

Seinen Künstlernamen hat Oliver Pfeifer , 34, aus seiner badischen Heimat mitgebracht. Weil auf seiner Lederjacke „Jo“ stand, nannten ihn auch seine Freunde so. Um als Schmuckdesigner seriöser zu wirken, machte er Jonathan Johnson daraus. Ein Gesamtkunstwerk sozusagen. Dabei hat der Spross aus linksliberalem Umfeld, der auch schon als Punk unterwegs war, ganz bodenständig sein Handwerk bei einem Pforzheimer Silberschmuck-Hersteller gelernt. Massenproduktion statt künstlerischer Selbstverwirklichung. Mit dem Gesellenbrief in der Tasche wechselte er zum Edel-Schmuck-Macher Otto Jakob in Karlsruhe. Inzwischen ist Johnson Goldschmiede-Meister und arbeitet auf eigene Rechnung. Schon aus Karlruhe knüpfte er erste Kontakte zur Hamburger Anzug-Schneiderei Herr von Eden, für die er unter anderem Manschetten-Knöpfe designt. Vor zwei Jahren wechselte er ganz nach Hamburg. Seine Schmuckstücke mit Witz und Hintergedanken tragen Annie Lennox, genauso wie Maler Daniel Richter oder Jung-Aktrice Pheline Roggan. Auch „Golden Pudel Club“-Besitzer Rocko Schamoni hat sich eine goldene Kette mit „Scheiße“-Schriftzug machen lassen. Seine Halsketten und Ringe unter klingenden Namen wie „Hafenmädchen“ oder „Music Was My First Love“ gibt es unter anderem bei Hanseplatte. Johnson ist verheiratet, legt auch als DJ Musik, filmt und fotografiert. Gerade zieht er mit seiner Werkstatt in die Poolstraße. Eröffnung des neuen Show-Rooms ist Anfang Juli. Infos unter www.jonathan-b-johnson.com . (mik)