Die Initiative von Stephanie Landa hilft Mädchen bei der Suche nach einem Schul- oder Ausbildungsplatz und stärkt deren Selbstbewusstsein

Ein Durcheinander von hellen Stimmen dringt aus einem Raum am späten Nachmittag im Goldbekhaus in Winterhude. Anne-Marie aus Kamerun, Maryam aus Afghanistan, Sherivan und Lanya aus dem Irak sowie Nesrin aus Somalia haben sich schon eingefunden zum ersten Treffen ihrer Gruppe von Sisters Network nach den Sommerferien. Anne-Marie funkt die noch fehlenden Mädchen per WhatsApp an, ob sie es rechtzeitig schaffen zu kommen. Leiterin Stephanie Landa und ihre Tochter Leonie, die wie Anne-Marie als sogenannte Big Sister – große Schwester – in der Gruppe mitarbeitet, werden mit Umarmungen begrüßt. „Wir haben uns total lieb, aber setzen uns auch auseinander“, sagt die 24-jährige Leonie. Sie ist Schauspielerin, Anne-Marie (24) studiert in Hamburg auf Lehramt.

Sisters Network hat als Motto „begegnen, leben, stärken“ und ist ein kostenloses Angebot des gemeinnützigen Unternehmens AUDIYOU für 16- bis 20-jährige Frauen, die unterstützt werden möchten bei ihrer Berufsfindung. „Derzeit kommen überwiegend Mädchen mit Migrationshintergrund, aber wir sind offen für alle Hamburgerinnen“, sagt Gründerin Stephanie Landa. Sie können in ihren Gruppen herausfinden, welche Interessen, Stärken und Begabungen sie haben. Sisters Network hilft bei der Suche nach einem Schul- oder Ausbildungsplatz, bei behördlichen Angelegenheiten und im privaten Bereich. „Mein Ziel ist, dass alle eine Ausbildung machen und ihr eigenes Geld verdienen“, sagt Landa.

Der Abendblatt-Verein unterstützt das Projekt

Wöchentlich findet ein zweistündiges Treffen statt, regelmäßig besuchen die Teilnehmerinnen Frauen, die über ihren Berufsweg berichten – wie eine Chemikerin, Bäuerin, Telefonistin, Malerin oder Gynäkologin. Die Gruppen gehen ins Theater, in Parks oder Museen, lernen auf einer Hamburg-Rallye die Stadt besser kennen. Höhepunkte waren bisher Reisen nach Berlin und Ratzeburg mit 16 Teilnehmerinnen oder zu einem Sommerfestival nach Schleswig. Die Reise nach Ratzeburg wurde unterstützt vom Abendblatt-Verein ebenso wie Crashkurse in diesem Sommer für Englisch in der Volkshochschule – damit der Start ins neue Schuljahr gut gelingt.

Auch in der Gesprächsrunde verbessern die Mädchen ihre Sprachkenntnisse. Stephanie Landa fordert sie auf, über ein schönes Erlebnis der vergangenen Wochen zu berichten und was sie in den Ferien gelernt haben. Es fällt das Wort Alltagsroutine. „Wisst ihr, was das bedeutet?“, fragt die 53-Jährige. Einige schütteln den Kopf. „Es ist das, was du täglich machst: Morgens putzt du deine Zähne …“, erklärt eine Teilnehmerin. „Hoffentlich!“, wirft eine andere ein. Alle lachen. Zusammen viel Spaß haben ist ebenfalls ein erklärtes Ziel bei Sisters Network.

Es kommen auch persönliche Probleme zur Sprache

Manchmal geht es aber auch ans Eingemachte, um Themen wie das Kopftuchtragen oder Zwangsheirat. Dabei muss Stephanie Landa sich oft mit schwierigen Fragen auseinandersetzen, zum Beispiel „Warum ist es so schwierig, in dem angeblich so freien Deutschland eine Arbeit oder einen Ausbildungsplatz zu finden, wenn man ein Kopftuch trägt?“ Und es kommen sehr persönliche Dinge zur Sprache. Eine junge Frau berichtet bei diesem Gruppentreffen zunächst tapfer und fast heiter von der kürzlich erfahrenen Diagnose ihrer fortschreitenden Krankheit – und bricht dann plötzlich in Tränen aus. Die anderen trösten sie, sind auch selbst sehr betroffen und ein bisschen ratlos.

Stephanie Landa fängt solche Situationen auf, indem sie sich intensiv um die jungen Frauen kümmert. Sie macht ihnen Mut, setzt ihr eigenes Netzwerk ein, um Hilfe zu organisieren und Lösungen für neue Lebenssituationen zu finden. Insbesondere den Mädchen, die aus kulturell oder religiös sehr stark geprägten Elternhäusern kommen, bietet sie Halt und Beratung bei Konflikten, in der Schule, der Ausbildung oder in der Familie. Das ist ein hartes Stück Arbeit für alle, denn vieles am Leben in Deutschland ist einigen der jungen Frauen schwer verständlich und passt nicht zu ihrer Sozialisation oder ihrem Glauben. Als das Thema Hunde aufkommt, weil die Landas ein „neues Familienmitglied“ haben, einen niedlichen Welpen, den Stephanie Landa auf einem Video herumzeigt, fallen Sätze wie: „Hunde sind bei uns zu Hause nur Wächter und sehr gefährlich“, „Wenn ich einen Hund berühre, muss ich mich ganz und gar waschen, bevor ich bete, und auch das Zimmer putzen, in dem er mit mir war.“ Mehrere der Mädchen haben große Angst vor den Tieren.

Sisters Network gibt den Mädchen Rückhalt

Durch Sisters Network werden die jungen Frauen selbstbewusster. „Es ist toll, dass ich hier frei über alles sprechen kann“, sagt die Kurdin Lanya, die mit ihrer Familie aus dem Nordirak floh. „Ich darf meine Meinung sagen, mich über Probleme und Träume austauschen.“ Die 19-Jährige hat gerade eine Ausbildung in einer Kardiologie-Praxis begonnen und fühlt sich dort gut angenommen. Sisters Network gibt ihr Rückhalt: „Ich bekomme Tipps, auch zur Aufenthaltsgenehmigung. Und Stephanie ist eine Frau, die geht einem direkt ins Herz.“Auch Nesrin ist glücklich, bei Sisters Network eingebunden zu sein. Sie möchte Sozialarbeiterin werden, um andere Menschen einmal selbst unterstützen zu können. Die 21-jährige Somalierin wuchs im Jemen auf und hat das Land wegen des Krieges verlassen. „Es ist sehr hart, hier allein zu sein“, sagt sie. „Keiner kann Familie ersetzen. Aber langsam fühle ich mich wie zu Hause. Wir lernen hier viel voneinander, denn jede hat eine sehr spezielle Stärke. In der Gruppe habe ich gelernt, dass man nie aufgibt.“

Wie schafft es Stephanie Landa, fast jederzeit ansprechbar zu sein für die Sorgen und Nöte der Jugendlichen? „Ich bin eine leidenschaftliche Netzwerkerin und schöpfe viel Kraft aus meiner Familie und meinem Umfeld. Mich motiviert immer wieder die Lebendigkeit bei den Treffen, die von Vertrauen geprägte Atmosphäre und das offene Miteinander. Daraus nehme ich meine Hoffnung, dass Integration gelingen kann.“

Info: www.sistersnetwork.de