Hamburg. Nach dem Fiasko im Norden benötigt Lindner bessere Ergebnisse in Nordrhein-Westfalen – sonst droht der Ampel Ungemach.

6,4 Prozent. Wer als politischer Passant oberflächlich das FDP-Ergebnis vom vergangenen Sonntag streift, wird mit den Achseln zucken. Für die meisten Deutschen ist eine FDP knapp über fünf Prozent ein Stück bundesrepublikanischer Normalität – schließlich liegt das Ergebnis irgendwo zwischen dem Wahlarmageddon anno 2013, als es die Liberalen mit 4,8 Prozent fast in den Abgrund riss, und den 18-Prozent-Turnschuhen.

FDP-Beobachter aber merkten am Sonntag nach den 6,4 Prozent auf – das Ergebnis lag nicht nur prozentmeilenweit von allen Erwartungen entfernt, die zwischen zehn und 15 Prozent schwankten, es war auch im Langzeitvergleich ein mittleres Desaster. Zuletzt hatten die Liberalen im Jahre 1992 im Norden schlechter abgeschnitten – also vor 30 Jahren, als viele FDP-Wähler vom Sonntag noch nicht einmal geboren waren. Damals übrigens hieß der Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki.

Schleswig-Holstein ist eine traditionelle Hochburg der Liberalen

Schleswig-Holstein ist nicht nur eine traditionelle Hochburg der Liberalen, der Norden war im vergangenen Jahrzehnt eine der letzten Rettungsinseln, als die FDP unterzugehen drohte. Die vermeintliche Traumhochzeit von Union und FDP nach der Bundestagswahl 2009 verwandelte sich bald in einen vierjährigen Rosenkrieg. Eine übereifrige FDP unter dem damaligen Parteichef Guido Westerwelle stieß auf eine Union, die dem liberalen Partner nicht einmal das Schwarze unter dem Fingernagel gönnte.

Infolge der schwarz-gelben Underperformance flogen die Liberalen (Wahlslogan 2009: „Arbeit muss sich wieder lohnen“) reihenweise aus den Parlamenten. Wolfgang Kubicki war es, der Ende 2010 warnte, die Lage der Partei sei aussichtslos und erinnere ihn „fatal an die Spätphase der DDR“. Schlechter war die Arbeit einer Regierungspartei in mehr als 30 Jahren der Messung von Regierungszufriedenheit nie bewertet worden.

Ohne Kubicki und Lindner gäbe es wohl heute keine Ampel

In manchen Umfragen ließ sich die FDP demoskopisch kaum noch erfassen. Bis auf kümmerliche 1,2 Prozent fielen die Liberalen 2012 im Saarland. In dieser Legislaturperiode scheiterte die FDP in 7 der 14 Landtagswahlen an der Fünfprozenthürde und flog 2013 erstmals aus dem Bundestag.

Es war Wolfgang Kubicki, dem es 2012 in totaler Abgrenzung zur Bundespartei gelang, die FDP auf wundersame 8,2 Prozent zu führen. Der andere Ausreißer im Abwärtsstrudel hieß Christian Lindner, der 2012 an der Spitze der nordrhein-westfälischen FDP 8,6 Prozent holte. Später bleiben sie in der Zeit der außerparlamentarischen Opposition die letzten bekannten Gesichter der Partei. Ohne die beiden und ohne Schleswig-Holstein wie Nordrhein-Westfalen gäbe es heute wohl keine Ampel. Weil es keine FDP mehr geben würde.

Viele FDP-Politiker tragen plötzlich Spendierhosen

Entsprechend nervös blicken Liberale auf die Wahl am Sonntag nach NRW: Ein Absturz von den 12,6 Prozent im Jahr 2017 ist längst eingepreist, aber wie weit wird er gehen? Für den Fall des tiefen Falls werden in der FDP kritische Fragen laut werden. Warum schimmert das Gelb in der Ampel fahl, während das Grün leuchtet? Der Ukraine-Krieg hat die Strategie von Lindner über den Haufen geworfen – die schwarze Null, Haushaltsdisziplin oder der Verzicht auf Steuererhöhungen sind in Zeiten der Zeitenwende wider den Zeitgeist. Als Welterklärer in der Krise schlagen sich Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock gut, von den Liberalen ist derzeit nur die Waffenexporteurin Marie-Agnes Strack-Zimmermann omnipräsent.

Viele FDP-Politiker tragen plötzlich Spendierhosen: Lindner kämpft für Tankzuschüsse, Verkehrsminister Volker Wissing will mehr statt weniger Elektroauto-Förderung. Und wie heißt eigentlich noch die FDP-Bundesbildungsministerin? Eine gute Frage für Günter Jauchs „Wer wird Millionär?“. Die Antwort lautet: Bettina Stark-Watzinger. So kann und wird es nicht weitergehen. Nach den Wahlen dürfte die FDP lauter und deutlicher auftreten, um an der Ampel nicht unter die Räder zu kommen. Themen gibt es genug, man darf sie nur nicht den Grünen überlassen. Es wäre beispielsweise schön zu wissen, wie die Versorgungssicherheit nicht nur in Reden, sondern auch in der Realität funktionieren soll, wenn man weiter munter Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke wie Moorburg zurückbaut. Was wird aus Wohlstand und Wirtschaft? Und wer modernisiert und digitalisiert das Land?