Berlin. Die Bestseller-Autorin hat sich zum Leben aufs Land zurückgezogen. Juli Zeh könnte sich sogar vorstellen, Bürgermeisterin zu werden.

Die Autorin Juli Zeh („Unterleuten“) hat der Stadt den Rücken gekehrt und ist aufs Land nach Brandenburg gezogen. Im Interview spricht die Schriftstellerin über ihr Leben, abseits der Stadt. Über Nachbarn und Heimat.

Wo ist für Sie Heimat?

Juli Zeh: Seit Neuestem hier.

Sie haben in Krakau, Bonn, New York, Leipzig gelebt. Vermissen Sie die Stadt nicht auf dem Dorf?

Nee. Ich habe schon in den letzten Jahren, die ich in Leipzig verbracht habe, der Stadt nicht mehr so viel abgewinnen können. Ich vermisse nichts. Außer die Infrastruktur. Die Möglichkeit zu sagen, ich gehe jetzt mal Brötchen holen.

Kino und Theater gibt’s ja nicht.

Theater vermisse ich tatsächlich am ehesten. Kino nicht. Ich bin so ein Serienjunkie geworden, dass ich es schwierig finde, noch einen normalen Spielfilm zu sehen.

Hat das Land Sie verändert?

Sehr. Ich arbeite viel weniger als früher. Als wir hier angekommen waren, ist mir klar geworden, dass ich früher in der Stadt auch aus Langeweile gearbeitet habe. Weil ich nichts so richtig mit mir anzufangen wusste. Als Freiberufler kann man ja theoretisch auch mal einen Tag nichts machen. Aber was tut man dann? Um 14 Uhr in Leipzig im Café rumsitzen?

Und was machen Sie jetzt um 14 Uhr?

Ich bin die ganze Zeit draußen. Im Garten, bei den Pferden, spazieren, mit dem Fahrrad unterwegs. Ich langweile mich nicht. Und dann hat sich durch die Kinder, sie sind ein und vier Jahre alt, der Tagesrhythmus stark verändert.

Vermissen Sie denn die Menschen in der Stadt nicht wenigstens ein bisschen?

Ich habe es als Erleichterung empfunden, raus zu sein aus dieser Filterbubble – immer nur die Leute kennenzulernen, die dasselbe machen wie man selbst. Akademiker, Literaten, wie auch immer. Je älter man wird, desto extremer wird das ja. Eigentlich trifft man sich immer selber. Das hört auf, wenn man Nachbarn hat.

Gibt es Akademiker in Ihrem Dorf?

Ja, aber ich muss schon nachdenken. Weil es nicht so eine Rolle spielt.

Haben Ihre Nachbarn Ihr Buch gelesen?

Überwiegend nein. Weil das Buch erstens teuer ist. Ich würde es gern verschenken, aber der zweite Punkt ist, dass die meisten Leute hier in der Gegend nicht lesen. Schon gar nicht so dicke Bücher.

Können die Städter etwas lernen von den brandenburgischen Dorfbewohnern?

Abregen, mal grundsätzlich. Was ich in Städten angefangen habe mentalitätsmäßig zu hassen und weswegen ich auch aus Leipzig unbedingt wegwollte, ist so eine Überempfindlichkeit im Umgang. Dass Leute sich von allem immer gestört fühlen. Egal ob es ein Radfahrer ist, der falsch abbiegt, oder eine Kneipe, wo um 23 Uhr noch Leute draußen sitzen, oder ein Kind, das Lärm macht – egal was es ist, die Leute fühlen sich gestört, und dann gibt es auch schnell den Impuls, die Polizei zu holen und Anzeige zu erstatten. Ich kriege schon, während ich das erzähle, Blutdruck. Was man von den Leuten hier draußen lernen kann, ist, es erst mal einfach gut sein zu lassen.

Werden Sie eigentlich auf dem Land bleiben?

Ja.

Niemals wieder zurück?

Irgendwann, vielleicht. Zumal das Dorf kein guter Ort ist, um alt zu werden. Wenn man die Mobilität verliert.

Gerade wird jemand für das Amt des Bundespräsidenten gesucht. Viele wünschen sich wieder jemanden, der von außen kommt. Können Sie sich vorstellen, aus dem Dorf ins Schloss Bellevue einzuziehen?

Ich glaube sogar, dass ich den Job gut machen könnte. Aber nach drei, vier Tagen hätte ich den Monster-Burn-out. Also höchstens eine Woche, aber nicht jahrelang. Ich glaube, dafür habe ich nicht die Nerven.

Und Bürgermeisterin in Ihrem Dorf?

Es ist ein winziges Budget zu verteilen. Und völlig verarmte Gemeinden sind infrastrukturell sozusagen vor dem Ersaufen zu erretten. Das ist halt die Aufgabe. Da könnte ich mir vorstellen, eines Tages tätig zu werden. Das ist kommunale Selbstverwaltung, wie sie ursprünglich gedacht war. Im Sinne von: Die Leute, die da leben, kümmern sich um ihren eigenen Scheiß.