Hamburg. Filmemacher Til Schweiger hat eine neue Rolle gefunden. Er ist jetzt auch Politaktivist. Ein Gespräch über Engagement und Ablehnung.

Bevor Til Schweiger weitersprechen kann, muss er kurz die Welt retten. Den Bösewicht vermöbeln, für die gerechte Sache kämpfen. Über seiner linken Augenbraue prangt eine (geschminkte) Narbe. Verführerisch, das symbolisch zu verstehen: Schweiger musste zuletzt auch einstecken. Es ist später Abend, wir sind am Filmset des Hamburger „Tatort“, die Interviewsituation ist eigenwillig. In der ehemaligen Theaterfabrik am Barmbeker Wiesendamm wird eine Prügelszene gedreht, wir sprechen zwischen den einzelnen Takes. Immer wieder wird Schweiger vor die Kamera gerufen, entschuldigt sich höflich, verschwindet in den Kulissen, aus denen dann – „Three, two, one, go!“ – Kampfgeräusche dringen, gelegentlich ein Schuss. Dann erscheint Schweiger wieder, sammelt sich kurz und spricht bemerkenswert konzentriert über die Rolle, die ihn in den vergangenen Wochen vor allem geprägt hat – sein einerseits beharrliches, andererseits auch heftig kritisiertes En­gagement für Flüchtlinge.

Hamburger Abendblatt: Sie drehen gerade in Hamburg für den „Tatort“. Können Sie sich in diesen Tagen überhaupt auf Ihren eigentlichen Job konzentrieren?

Til Schweiger: Ich bin hier zwar am Filmset, aber erst vor einer Stunde war die Band Revolverheld hier, und wir haben besprochen, wie wir die Kräfte in Hamburg bündeln können. Die sitzen jetzt bei Tim Mälzer und überlegen weiter, was man hier machen kann.

Sie haben erst kürzlich eine Stiftung für traumatisierte Kinder gegründet, ­Thomas D. von den Fantastischen Vier ist dabei, Joachim Löw ist dabei, haben Sie auch von jemandem einen Korb ­bekommen?

Schweiger: Nein. Die haben alle sofort und spontan „Ja“ gesagt. Joachim Löw, Sigmar Gabriel, Mathias Döpfner, zuletzt hat mir Rita Süssmuth zugesagt. Die wollten nur wissen: Was ist der Zeitaufwand, was wird von mir erwartet, was soll ich machen?

Und was genau sollen die machen?

Schweiger: Sich einbringen, Ideen haben, förderungswürdige Projekte finden – und Geld einsammeln. Das ist ja ein wahnsinniges Netzwerk.

Hat außer Ihnen und Thomas D. noch jemand privates Geld gegeben?

Schweiger: Von Jogi Löw kriegen wir einen Scheck von der Sporthilfe. Die anderen habe ich noch nicht gefragt, aber ich bin sicher, dass jeder seinen Obolus geben wird. Und die Satzung ist breit aufgestellt, sodass wir möglichst viel machen können. Der Grundgedanke sind traumatisierte Kinder, das müssen nicht ausschließlich Flüchtlingskinder sein. Und wir haben immer noch den Traum mit Osterode ...

... das Vorzeige-Flüchtlingsheim ...

Schweiger: Genau. Wir wollen das, das Land Niedersachsen will das. Es gibt halt offene Fragen. Ich bin ja kein Betreiber und habe auch nie gesagt, dass ich einer werden will. Kauft das also jemand, der auch Betreiber sein kann? Der Vorteil wäre, dass man das Projekt dann nicht ausschreiben müsste, was alles sehr verzögern würde. Man könnte sofort loslegen.

Wir stellen mal die Grundsatzfrage: Warum das alles? Ihr wütender Facebook-Post („Verpisst euch von meiner Seite“) als Antwort auf die üblen Kommentare nach dem Aufruf zur Abendblatt-Flüchtlings-Spendenaktion vor einigen Wochen war ein Auslöser, aber das alles hätte ja auch ein Strohfeuer bleiben können. Sie jedoch bleiben hartnäckig. Was ist der Grund?

Schweiger: Zum einen: der Zynismus. Dass Leute gesagt haben: Was maßt der sich an? Aber vor allem natürlich die Sensibilisierung für das Thema. Es macht mich traurig, wenn da Menschen, die sich ein besseres Leben versprechen, im Mittelmeer ertrinken oder in Lastwagen ersticken. Oft prallt der Schrecken der Welt ja so an einem ab und es geht sofort weiter. Mein erster Gedanke, als damals eines der ersten Flüchtlingsschiffe gekentert war und so viele starben, war: Da haben die so viel ausgehalten, und auf den letzten Metern schaffen sie es nicht. Und es wird wieder Leute bei uns geben, die genau das abfeiern.

Unter denen, die das abfeiern, sind Fans von Ihnen. Leute, die „Freunde“ Ihrer Facebook-Seite sind ...

Schweiger: Da wird es sicher einige geben, die noch wegen „Manta, Manta“ Fan sind und die sich gedacht haben: Super, der Schweiger will Kinderschänder härter bestrafen, das ist einer von uns. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass jemand, der „Barfuß“ oder „Honig im Kopf“ toll findet, so empfinden kann. Die Mehrheit dieser Leute, die so verachtenswerte Kommentare schreiben, sind keine Fans, die suchen einfach ein Forum.

Am Set vom
Am Set vom "Tatort" in Hamburg: Til Schweiger mit den Abendblatt-Redakteuren Maike Schiller und Matthias Iken © HA

Trotzdem: Hat sich da was gedreht? Til Schweiger, plötzlich Liebling der Feuilletons, sogar die „FAS“ feiert Sie – und es gibt Fans, die sich abwenden?

Schweiger: Nee, das wäre zu einfach. Meine Fans wenden sich ja nicht ab, der Zuspruch insgesamt ist gestiegen. Ich habe bloß anfangs den Fehler gemacht, auf solche Hasskommentare zu antworten. Ich habe versucht zu diskutieren, ich habe ja nicht sofort losgepöbelt, ich habe gesagt: Leute, versucht zu helfen, ihr werdet sehen, dass euer Leben dadurch besser wird. Und wenn ich denen dann irgendwann sage „Verpiss dich von meiner Seite“, pusht das deren Kommentar ganz nach oben. Auch wenn meine Fans auf solche Pöbeleien reagieren und das wiederum entsprechend kommentieren, führt das dazu, dass dieser Kommentar weiter nach oben rutscht. So entsteht ein verzerrtes Bild. Ich habe jetzt zwei Leute eingestellt und lese diese Kommentare nicht mehr selbst. Dafür ist mir mein Leben echt zu schön, als dass ich mich mit diesem Dreck beschäftigen möchte.

Haben die Reaktionen Sie eigentlich überrascht? Der Zuspruch, aber auch die Ablehnung?

Schweiger: Was mich überrascht hat, war, dass die extremen Rechten sich so lautstark äußern und sich auch nicht mehr hinter einem Batman-Profil verstecken, sondern das unter Klarnamen machen, auch drohen. Das finde ich ein bisschen beängstigend. Es gab ja sogar eine Bombendrohung gegen die SPD-Zentrale.

Sie sind als Schauspieler und Filmemacher in die Rolle des Politaktivisten geraten. Eine Rolle, die sie nicht bewusst gesucht, die Sie aber auch nicht abgelehnt haben, oder?

Schweiger: Freunde von mir haben gesagt: Til, lass gut sein, du hast dein Statement gemacht, lass jetzt mal andere übernehmen. Aber ich habe gemerkt, dass ich etwas bewegen kann. Und das ist etwas Gutes. Natürlich ist das stressig, und man ärgert sich hin und wieder über Leute, die das nicht begreifen wollen. Aber: Es ist auch ein ganz tolles Gefühl, wenn man merkt, was man in der Kürze der Zeit stemmen und bewirken kann. Das macht schon auch euphorisch.

Überspitzt gesagt: so eine Art Bruce-Willis-Moment? Wenn sonst keiner die Welt rettet, dann muss ich das halt selbst ­machen?

Schweiger: Die Welt kann ja keiner retten, dazu ist die Welt zu sehr im Arsch. Aber man kann versuchen, einen Teil zu verbessern. Ich war zum Beispiel in dem Flüchtlingsheim in der Schnackenburgallee und habe mich mit den drei Frauen unterhalten, die das leiten. Und man steht dann da und denkt: Oh Gott, hier fehlt es ja an ALLEM, an jeder Ecke! Aber mit welcher Wucht und Energie und Leidenschaft die sich da einbringen – das ist beeindruckend. Und wenn man selbst prominent ist und weiß, man hat eine laute Stimme, dann muss man sich da einfach einsetzen. Weil ich es KANN. Weil ich das mittlerweile für meine Pflicht halte.

Wie nachhaltig können Sie diese Verantwortung schultern, die Sie da übernommen haben? Haben Sie sich je gefragt, ob Ihnen diese Rolle eigentlich passt?

Schweiger: Diese Frage stellt sich nicht. Der Stein ist ins Rollen gekommen, ich habe das nicht geplant oder gesucht. Es wurde mir ja auch immer wieder unterstellt, ich würde PR in eigener Sache machen, sogar daran verdienen – das ist wirklich absurd! Wenn ich PR machen wollte, dann würde ich mir doch nicht ein Thema aussuchen, was so sehr polarisiert!

Verstehen Sie eigentlich die Vorbehalte, die viele Menschen haben gegenüber Fremden oder auch angesichts der großen Anzahl an Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen?

Schweiger: Ich kann die Ängste verstehen, dass wir mit dem Flüchtlingsstrom nicht fertig werden. Aber die kommen auch daher, dass die Leute nicht ausreichend informiert sind. Es sagen ja eigentlich alle, die sich damit auskennen, dass es eine große Belastung wird – aber eine, die wir stemmen können. Wir sind ein wahnsinnig reiches Land. Und man muss sich einfach erinnern: Deutsche waren auch auf der Flucht, wegen eines Krieges, den sie selbst angezettelt haben. Und ihnen ist massiv geholfen worden. Und wer weiß denn, ob Deutsche nicht irgendwann wieder auf der Flucht sind? Als die Mauer fiel, haben wir alle gedacht, jetzt haben wir Frieden auf ewig. Von wegen.

Der Innenminister sagt: In diesem Jahr können wir 800.000 stemmen, aber dann müssen es weniger werden.

Schweiger: Ich bin kein Fachmann. Ich agiere aus reiner Menschlichkeit. Ich finde, es ist unsere Verpflichtung, jemanden, der vor Krieg und Terror flieht, hier willkommen zu heißen. Ich glaube, dass viele Politiker aus Angst, Stimmen am rechten Rand zu verlieren, diese Ängste – bewusst oder unbewusst – auch schüren. Da wünsche ich mir, dass die demokratischen Parteien da an einem Strang ziehen.

Gibt es einen Politiker, der aus Ihrer Sicht in der letzten Zeit einen richtig guten Job gemacht hat?

Schweiger: Ich fand die Rede von der Kanzlerin ein bisschen überfällig, aber sehr gut. Ich fand es auch absurd, dass man Sigmar Gabriel dafür abgewatscht hat, dass er Tacheles geredet hat.

Der Ton ist auf beiden Seiten schärfer geworden, sprachlich bewegt man sich hier wie da bisweilen auf ähnlichem Niveau. Da ist von „Pack“ und „Vollidioten“ die Rede ...

Schweiger: Wenn einer sagt „Das Pack soll im Mittelmeer ertrinken“, finde ich es legitim zu sagen, „Verpiss dich von meiner Seite“. Was haben die Leute denn für Sorgen, sich da über die Sprache aufzuregen? Während Leute vor einem Flüchtlingsheim stehen und mit Fackeln in der Hand Naziparolen grölen?! Da frage ich mich, warum das überhaupt erlaubt ist! Dass die nicht verhaftet werden, das geht mir nicht in den Kopf. Ich verstehe auch nicht, dass man sagt, das sei Versammlungsfreiheit. So was muss doch unter Strafe gestellt werden.

Nicht nur Sie, auch Ihre Familie wurde heftig bedroht, an Ihrem Privathaus wurden Stromkabel durchtrennt – hatten Sie je Angst?

Schweiger: Angst nicht. Ich mache mir natürlich Sorgen, klar. Aber deswegen aufzuhören wäre ja fatal.

Es wäre vorstellbar, dass Ihre Töchter Sie bitten, es gut sein zu lassen.

Schweiger: Aber so sind meine Töchter nicht.

Gab es tatsächlich keinen Moment seit dem auslösenden Eintrag auf Ihrer Facebook-Seite, in dem Sie gedacht haben: Was hab ich mir da eigentlich eingebrockt?

Schweiger: Als ich in der Schnackenburgallee stand, habe ich gedacht: Das ist ja viel größer als du gedacht hattest. Da weiß man ja gar nicht, wo man anfangen soll! (Atmet tief ein.) Aber dann habe ich die Energie dieser drei Frauen gesehen, die da arbeiten. Die mir erzählt haben, dass die Stadt noch keinen Plan hat, wohin die Flüchtlinge sollen, wenn es Winter wird und die alle nicht in Zelten bleiben können. Diese Frauen werfen aber nicht die Flinte ins Korn, sondern engagieren sich. Es gibt eine viele größere Hilfsbereitschaft, als man denkt, weil der Pöbel die Nachrichten bestimmt. Es gibt Leute, die losmarschieren, die machen, die nicht zuerst an sich denken. Die brauchen eine viel größere Stimme. Und dafür lohnt es sich. Was wäre denn auch der Umkehrschluss? Zurückzuweichen und zu sagen, ich schaffe das nicht, ich mache das nicht? Das wäre feige.

Sie hatten mal ein SPD-Parteibuch – ­waren Sie je so politisch wie heute?

Schweiger: Ich war immer politisch interessiert. 2000 hab ich noch Wahlkampf für Gerhard Schröder gemacht, aber direkt danach bin ich ausgetreten. Wegen der damaligen Kulturpolitik und weil ich den Sinn nicht mehr gesehen habe, ich fand: Hauptsache eine Partei ist demokratisch. Die Partei, die ich uneingeschränkt wählen wollen würde, die gibt es sowieso nicht.

Sigmar Gabriel hätte Sie wahrscheinlich schon ganz gern wieder bei den Sozialdemokraten, oder?

Schweiger: Ich habe ihm gesagt: Wenn wir Osterode gewuppt kriegen, wenn das das Heim wird, von dem ich geträumt habe – dann trete ich aus Dankbarkeit wieder in die SPD ein.