Wie Frankreichs Skandalautor Michel Houellebecq an die Heldenseite von Altkanzler Helmut Schmidt rückte

Alexander von Schönburgs Buch „Smalltalk – Die Kunst des stilvollen Mitredens“, soeben erst erschienen, klettert schon in den Bestsellerlisten, und das mit Recht. Es ist ein moderner Knigge des gesellschaftlichen Umgangs, und wie der sprichwörtliche Knigge hat es nichts mit der Tatsache zu tun, dass man Fisch nicht mit dem Messer essen durfte (was man übrigens längst darf, da die Messer nicht mehr beschlagen und sich verfärben). Sondern es geht um Bildung, das, was man zu Knigges Zeiten auch Herzensbildung nennen durfte, also darum, worüber man sich unterhält, wenn man sich gesellig trifft, auf Partys, Empfängen, Festen.

In diesem schönen, witzigen Buch kommt als Gesprächsstoff auch in einer eigenen Kategorie Helmut Schmidt vor. Der letzte aktiv rauchende Vulkan unter Deutschlands Politikern wird folgendermaßen eingeführt: „Helmut Schmidt ist für Deutschland das, was für Amerika die Fernsehserie ‚Mad Men‘ war. Er steht für eine Zeit, in der man Frauen im Aufzug noch in den Ausschnitt schauen, leere Bierdosen im Park einfach irgendwo hinfeuern und überall rauchen durfte.“

Mit den Bierdosen und den Ausschnitten hat es der altehrwürdige Bundeskanzler weniger, aber Rauchen! O-Ton von Schönburg: „Wenn Sie davon reden, wie cool Sie Helmut Schmidt finden, können Sie im Smalltalk sozusagen auf Autopilot schalten. Selbst Leute mit Biomarkt-Kundenkarte werden begeistert Geschichten vom Rauch-Rebellen Schmidt erzählen.“

Letzte Woche stellte Michel Houellebecq in Köln seinen neuen Roman „Unterwerfung“ vor. Sie wissen, Houellebecqs Roman ist durch die blutigen Pariser Ereignisse in der Redaktion der Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ in den Fokus geraten, weil Houellebecq sozusagen die legale Übernahme der französischen Republik durch Muslime schildert. Der großartige gesellschaftskritische Roman wirkt wie Zunder in der Debatte um das schreckliche Attentat.

Wie gesagt, in Köln fand die einzige und einmalige Vorstellung dieser Buch-Sensation statt (schon jetzt Platz 1 der „Spiegel“-Bestsellerliste), auf der der Autor persönlich auftrat. Also großes Gedränge um Houellebecq, der schon durch sein filziges Haar und seine schlechtsitzende, knittrige Kleidung ein bisschen wie ein Clochard aussieht. Und worüber schrieben die Journalisten zwei Tage später alle? Houellebecq habe etwas mit Helmut Schmidt gemeinsam, er habe denselben Rebellen-Mut. Er rauchte nämlich auf der Pressekonferenz in Köln in aller Öffentlichkeit! Mit Schaudern beschrieben die Reporter diese Helmut-Schmidt-Courage des französischen Autors. Houellebecq gilt in Frankreich als der letzte sarkastische Macho unter den Schriftstellern.

Da passt es gut, dass sich sonst die Schlinge um die Raucher immer enger zusammenzieht. Ein Gericht verbot inzwischen einem Ehepaar, stundenweise auf dem eigenen Balkon zu qualmen, weil sich Unterwohner auf ihrem Balkon gestört fühlten. Houellebecq und Schmidt sind also die letzten Mohikaner, die noch schnaubend Feuer speien.

Karasek schreibt jeden Sonnabend im Hamburger Abendblatt