Eigentlich sollte man, da der November langsam sehr dunkel und die Vorweihnachtszeit gern mit tröstlichen Lichtlein bestückt wird, keine Glosse ausgerechnet über die Ukraine schreiben. Mir sind aber zwei entscheidende Zitate in den Sinn gekommen, die mich nicht mehr loslassen.

Das erste: Putin hat gesagt, der „Zerfall der Sowjetunion“ sei für ihn „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Danach ist er dann mehr und mehr als Alleinherrscher in die Macht hineingewachsen.

Das heißt aber, wenn er diesen Satz so glaubt, dann muss er, um verantwortlich zu handeln, die Folgen dieser „Katastrophe“ mildern, ändern und zu beseitigen suchen. Hier gibt es in der Tat eine Parallele zu Deutschland. Für Hitler war erklärtermaßen der Versailler Vertrag die größte Katastrophe, in die die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg geführt hatte. Und sein erklärtes Ziel war es, den Versailler Vertrag mit Gewalt zu revidieren, indem er nach und nach das Rheinland remilitarisierte, das Saarland zurückholte, nach der Proklamierung des Großdeutschen Reichs in Wien die Sudetenfrage auf seine Weise löste und den Krieg mit den Provokationen an der polnischen Grenze und der Beschießung der Westerplatte am Korridor vor Danzig eröffnete.

Wie sich die Szenarien gleichen, hat Bundespräsident Gauck in Polen beschworen. Die Krim ist annektiert mittels einer Volksabstimmung. Zurzeit unterstützt Putin mit aller schamlosen Offenheit die ostukrainischen Rebellen, und dem Zugang des Korridors nach Danzig entspricht die Bestrebung, einen direkten Zugang auf dem Landweg zur Krim durch die drohende Okkupation des Hafens Mariupol vorzubereiten. Die Polen wissen und fürchten das, denn die russischen Aktivitäten gehen auch in Serbien und vor den Wahlen in Moldawien weiter. Und auch in den baltischen Staaten rumort es. Im Sinne seiner Katastrophenbewältigung macht Putin also großrussisch-patriotische Fortschritte, die er, wie Merkel jetzt durchschaut hat, inzwischen kaum noch camoufliert.

Nun gibt es einen zweiten Satz, und der stammt von US-Präsident Obama und fiel zu Beginn der Ukraine-Krise, nach der Revolution auf dem Maidan in Kiew. Obama sagte herablassend, man müsse Russland als Großmacht nicht mehr fürchten. Russland sei bestenfalls eine „Regionalmacht“. Flottenmanöver der Nato im Schwarzen Meer taten ein Übriges. Und jetzt lässt der in seiner Katastrophen-Angst und seinem nationalen Stolz gekränkte Putin überall in der Welt seine militärischen Imponier- und Drohmuskeln spielen. Schiffe und Flugzeuge demonstrieren dies, wo Putin auftaucht oder auch nicht auftaucht.

Da kann es nur falsch sein, wenn der ehemalige SPD-Ministerpräsident Platzeck meint, man solle Putin doch die Krim und die Separatistenstaaten Donezk und Lugansk überlassen (deren Staatskassen Russland inzwischen offiziell finanziert). Mit dem Fressen kommt – zumindest das könnte die Sudetenkrise auch Platzeck lehren – der Appetit.

Karasek schreibt jeden Sonnabend im Hamburger Abendblatt