Früher, aber das ist schon einige Donnerstage her und war vor der Erfindung des „Rücktritts“ und des „Freilaufs“, früher also war „Radfahrer“ ein Schimpfwort, so nannte man jemanden, natürlich nur einen Mann, der ein schleimiger und rücksichtsloser Karrierist war: nach oben buckeln und nach unten treten.

Später, in klimabedrohten, autoübervölkerten, voll geparkten Zeiten, avancierte der Fahrradfahrer zum Vorbild und Mustermann, ganz wie heute der Veganer trug er schon fast einen Heiligenschein. Man richtete ihm eigene Fahrradwege, und wehe ein Autofahrer wagte auch nur ein Stoßstangeneck hineinragen zu lassen. „Parke nicht auf unseren Wegen!“ wurde ihm auf die Sichtscheibe geklebt. Bei Wiederholungstätern war bald der Lack ab (gekratzt) oder der Scheibenwischer verbogen. Und man weiß, wo Richter Schill landete, als er dergleichen mit gnadenlosen Strafen ahndete: erst im Senat und dann nackt ohne Robe in der Gosse. Inzwischen gehören den Fahrradfahrern sämtliche Fußwege und die freie Farbwahl bei Ampeln. Sie sind ja umweltbewusst und bedrohen nur die aussterbende Spezies des Passanten.

Ich weiß davon ein Lied zu singen, wenn mir, trete ich aus dem Haus, unerwartet ihr Fahrtwind um die Ohren dröhnt. Radler ohne Maß kommen von beiden Seiten, sodass auch der Verkehrsblick „links vor rechts“ keinen Schutz gewährt. Klaglos und aus Angst, als rückschrittlich zu gelten, habe ich das in mich hineingefressen und ertragen. Auch als Autofahrer, wenn Radfahrer bei frühem Rot noch über die Abbiegung bretterten und mich zum potenziellen Mörder rempelten. Bis ich in der Zeitung las: „Heftige Unfälle zwischen Radlern und Passanten. Vier Schwerverletzte in einer Nacht.“ Ein Rentner an einer Bushaltestelle so schwer verletzt, dass er an Kopfverletzungen verstarb. Außerdem eine 82-Jährige auf einem Fußgängerüberweg bei Grün.

Das machte mir Mut zum Kragenplatzen. Ich hoffe nur, dass dies meine Tochter nicht liest. Die fährt in Frankfurt nur mit dem Fahrrad ins Büro, und ich bin stolz auf ihr Gesundheits- und Umweltbewusstsein!

Hellmuth Karasek schreibt jeden Sonnabend im Hamburger Abendblatt