Von früheren Entzugserscheinungen in der Fußball-Diaspora und heutigen Träumen dank Klinsmann

1974 wurde Deutschland (damals noch die Bundesrepublik) zum zweiten Mal Fußballweltmeister. Und das „dahoam“, im eigenen Land. Dies hatte „Waldi“ Hartmann als Joker bei Günther Jauch vergessen, verdrängt.

Ich habe es weder vergessen noch verdrängt, obwohl ich bei der WM gar nicht in Deutschland war, sondern wie jeden Sommer damals Dozent am Middlebury College in Vermont. Ich war dort sehr gern, im landschaftlich idyllischen Neuengland, nur 1974 nicht so sehr. Ich schwänzte die erste Woche in New York, weil man dort wenigstens in öffentlichen Arenen die entscheidende Woche (Wasserschlacht gegen Polen) sehen konnte. Das Endspiel wollte ich in Vermont sehen, es hieß, es liefe im Fernsehen. Doch nix da. Mangels Interesse fiel die Ausstrahlung aus. Amerika, damals noch das Land der Hot Dogs (Nathan’s) in New York und der Submarines und nicht der McDonald’s Burger, verstand unter Fußball nur Football, American Football. Der Ball war nicht rund wie beim Soccer, und wenn man jemandem sagte, er hätte keine „balls“, hieß das, im heutigen Slang, „keine Eier“, weil sie eher dem US-Football als dem Soccer-Ball glichen.

Was tun? Ich fasste mir ein Herz, mietete einen Hertz-Wagen, fuhr fünf Stunden nach Montreal und nach dem Sieg (mit Beckenbauer als Kapitän) zurück zum College. Beckenbauer ging Jahre später zu Cosmos nach New York, um bei den Yankees Soccer populär zu machen. Ohne großen Erfolg.

Jetzt sah ich in New York in den CBS-Nachrichten Klinsmann, den Trainer des „deutschen Sommermärchens“ 2006, wo wir gefühlter Weltmeister (in Wahrheit Dritter) wurden. Er trainiert jetzt die US-Fußballer, die am 26. Juni bei der WM auf Deutschland treffen. Die Moderatorin und der Sportredakteur fragten ihn nach den Chancen, Weltmeister zu werden. „Außerhalb jeder Realität“, sagte der Weltmeisterspieler 1990 unter Beckenbauer. Die Journalisten schmunzelten. Als sie unter sich waren, sagten sie, das sei typisch deutsches Understatement. Um die anderen einzulullen und doch noch mit den USA Weltmeister zu werden. So ändern sich die Fußball-Zeiten.