Wie das Private an den Pranger gerät. Gabriel, der Fall Edathy und die goldene Regel der Stammtische

Sigmar Gabriel, der Vorsitzende der SPD, ist ein schneller, um nicht zu sagen: vorschneller Mann, der oft vorzeitig explodiert, als hätte er Knallerbsen im Bauch. Er trägt, um es vornehm zu sagen, sein Herz auf der Zunge, und das Sprichwort weiß: „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.“ Wie die „SZ“ schrieb, habe er jedoch während der Koalitionsverhandlungen begriffen, „dass eine drastische Reduzierung seiner Medienpräsenz vielleicht das einzige Mittel ist, mit dem er sein Image als Polit-Hallodri loswerden kann“. Das ist schön gesagt. Nun aber ist er Vizekanzler, und so müsste sein unbändiger Mitteilungsdrang automatisch zu Regierungskrisen führen, wie im Edathy-Fall, wenn nicht die anderen das Ärgste verhindern. Das war schon das Dilemma zwischen Merkel und Westerwelle, der auch zu Unzeiten stets das falsche Wort am falschen Ort herauskrakeelte.

In der Edathy-Krise hat Gabriel kürzlich erneut für Zündstoff gesorgt. Er hat ein Partei-Ordnungsverfahren mit dem Ziel des Ausschlusses Edathys aus seiner Partei angeregt. Dass jemand Bilder von nackten Knaben habe, sei mit den Grundwerten der SPD nicht vereinbar.

Nun will es der Zufall, dass in den gleichen Tagen die Causa Wulff mit einem Freispruch endete, nachdem er wegen der staatsanwaltlichen Ermittlungen immerhin sein Präsidentenamt und sein Familienglück einbüßte. Und dass Sarrazin sein Buch „Der neue Tugendterror“ veröffentlichte, der sich wegen seines ersten Buchs („Deutschland schafft sich ab“) auch ein Partei-Ausschlussverfahren bei Gabriel einhandelte. Auch dessen streitbare und umstrittene Gedanken waren den Tugendwächtern der Partei nicht politisch korrekt genug. Bei Sarrazin holte sich Gabriel, zu Recht, eine blutige Nase. Seine Ämter in der Politik und bei der Bundesbank wurde der so Geächtete los, sein Glück, dass er wenigstens mit seinem Bestseller finanziell weich fiel.

Im Fall Edathy hat jetzt Thomas Fischer, der Vorsitzende des Bundesgerichtshofs, in einem luziden Aufsatz in der „Zeit“ mit gutem Grund gefordert, dass sich die Partei eigentlich bei dem Beschuldigten hätte entschuldigen müssen, nachdem sie den Fall an die Öffentlichkeit gezerrt hatte und damit den Politiker durch pure Vorverurteilung existenziell, materiell und moralisch ruinierte. Fischer spricht von der „vernichtenden Gewalt des Redlichen, mit der goldenen Regel aller Stammtische: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“ Und fährt sarkastisch fort: „Ganz ähnlich sieht man das in Nordkorea.“ Und der kluge höchste Richter folgert: „Edathy hat nach allem, was wir wissen, nichts Verbotenes getan. Vielleicht sollten diejenigen, die ihn gar nicht schnell genug in die Hölle schicken wollen, vorerst einmal die eigenen Wichsvorlagen zur Begutachtung an die Presse übersenden.“